Hexen-Orgien in der Walpurgisnacht

Einen Hexensabbat beschreibt Goethe in seiner Tragödie „Faust“. Mit angehenden Sozial- und Gesundheitspraktikantinnen inszenierte ich kürzlich das Goethe-Stück. (Foto: Schnidrig)

Die Nacht vor dem 1. Mai ist die Nacht der Hexen. Aus der Tragödie „Faust“ von Goethe aus dem Jahr 1808 ist der Name „Walpurgisnacht“ überliefert. Der Gelehrte Faust und der Teufel Mephisto besteigen in der Walpurgisnacht gemeinsam den Blocksberg, auf dem der Hexensabbat abgehalten wird. Von überall her fliegen die Hexen auf ihren Besen auf den Blocksberg im Harzgebirge. Es gelingt Mephisto, den Doktor Faustus in das wüste Treiben der Hexen hinein zu ziehen, und ihn zu einem obszönen Tanz mit einer liebreizenden Hexe zu bewegen. Die Walpurgisnacht wird für Doktor Faustus damit zu einem „Erlebnis der Leidenschaft“.

Eine ausschweifende Orgie. Faust und Mephisto tanzen mit den sexgierigen Hexen auf dem Blocksberg. Wie bei einem Hexensabbat üblich, mündet der Tanz mit den Hexen schliesslich in einer ausschweifenden Orgie. Dabei tanzen Doktor Faustus und der Teufel Mephisto nur knapp am Verderben vorbei. Denn mitten im Hexentanz macht Faust sich über zwei Huren des Teufels her, er treibt es mit zwei „Buhlteufelinnen“. Das aber hätte er besser lassen sollen, denn die beiden zwielichtigen Damen wollen ihn endgültig dem Bösen einverleiben. Doch Doktor Faustus – gescheit wie er ist – bricht die Orgie mit den beiden Fräuleins gerade noch rechtzeitig ab.

Sex-Reiz, Zauberei und Tanz sind die wichtigsten Indizien, an denen man eine Hexe erkennen kann. Goethe seinerseits bezog dieses Wissen aus dem Buch „Bloks-Berg Verrichtung“ von Johannes Praetorius aus dem Jahr 1669. Die Wurzeln der Walpurgisnacht gründen aber noch viel tiefer, sie reichen zurück bis in die heidnische Vorzeit. Die Walpurgisnacht, wie sie Goethe in seiner Tragödie „Faust I“ beschreibt, hat ihren Ursprung in der frühen keltischen Kultur.

In keltischer Tradition fand in der Nacht auf den 1. Mai der Wechsel von der Winter- zur Sommerzeit statt. In dieser Nacht feierten die Kelten das Fest Beltane oder Belenus. Es war dies ein grosses und wunderschönes keltisches Fest zum Winter-Ende, und zwar ohne jeglichen religiösen Inhalt. Dass bei diesem Fest auch getanzt wurde, missfiel der römisch-katholischen Kirche derart, dass sie das Fest verteufelte. Und noch schlimmer: Die Kirche verdammte und verketzerte die erotischen und reizvollen Frauen, die sich dem Tanze hingaben, und sie machte sie zu Huren und zu Hexen. Während des Beltane-Festes feierten die Kelten die Auferstehung der Natur in Fauna und Flora. Diese „Auferstehung“ machte sich später die katholische Kirche zu eigen, sie erscheint nun im katholischen Dogma zu Ostern als Auferstehungsfest der christlichen Kirche.

Walpurgisnacht mit modernen Hexen. Den Fundamentalisten der römisch-katholischen Kirche ist es nicht gelungen, den Mythos der Walpurgisnacht zu zerstören. Moderne Hexen feiern auch heute noch die Walpurgisnacht. Sie leitet den Sommeranfang ein und steht ganz im Zeichen der Lebenslust und der Fruchtbarkeit. Auch in der Schweiz treffen sich Hexen und Hexer in der Nacht zum 1. Mai. Sie entfachen im Wald ein Feuer, sie singen, tanzen und zelebrieren ihre Lebensfreude. Sie huldigen der Natur und sie vertreiben die Wintergeister. Lichtvolle Kerzenrituale sind angesagt, und manche räuchern ihr Haus mit reinigenden Harzen und Kräutern aus.

Ans Internationale Hexentreffen nach London fliegen! Heute trifft die Hexe ihren Hexer allerdings nicht mehr auf dem Blocksberg im Harzgebirge, wie dies noch in Goethes „Faust“ beschrieben ist. Moderne Hexen und Hexer nehmen am Internationalen Hexentreffen in London teil. An diesem jährlichen Treffen finden sich 5000 bis 7000 Hexen ein. Es ist Ehrensache, dass eine Hexe, die etwas auf sich hält, nach London fliegt. Wenn möglich, auf dem Besenstiel. Für den Hexenflug braucht es allerdings etwas Flugsalbe. Für alle, die es mal mit einem Hexenflug versuchen möchten, sei hier die Rezeptur zur Herstellung von Flugsalbe verraten. Die Flugsalbe setzt sich zusammen aus Nachtschattengewächsen wie Tollkirsche, Bilsenkraut und Stechapfel. Also dann: Besenstiel und Flugsalbe bereitmachen! Guten Flug!

Text und Foto: Kurt Schnidrig