Grängjer Kultursommer stimmungsvoll eingeläutet

Begleitet vom Abendläuten las Autorin Sieglinde Kuonen-Kronig auf dem Unteren Dorfplatz in Grengiols aus ihren beiden „Tulpen-Romanen“. (Archivfoto: Kurt Schnidrig)

Das Szenario auf dem Unteren Dorfplatz in Grengiols hätte stimmungsvoller nicht sein können. Als pünktlich um 20.00 Uhr vom Kirchturm her das Abendläuten herüberklang, trug Sieglinde Kuonen-Kronig die melancholische Friedhof-Szene aus ihrem Fortsetzungs-Roman vor. Rinaldo, der Protagonist in ihren beiden „Tulpen-Romanen“, ist wie bereits in den vergangenen Jahren um diese Zeit zum Friedhof rausgefahren. Doch nun scheint sich Rinaldo mit dem grausamen Schicksal, welches ihm von einem Tag auf den anderen seine geliebte Frau Maria weggenommen hatte, versöhnt zu haben. Zumindest kommt er diesmal nicht alleine. Michèle begleitet ihn, die einstige Bücherfreundin der Verstorbenen. Maria hatte ihr damals auf ihre Weise geholfen, im Wallis anzukommen… So beginnt der zweite Band der Walliser Romanstory, der erst kürzlich erschienen ist. (Sieglinde Kuonen-Kronig: „Die Tulpen haben aufgehört zu blühen – Fernweh und Abgründe in einem Walliser Dorf“). Erzählt wird die Geschichte des Aufbruchs zweier junger Frauen aus dem Oberwallis. Wohin aufbrechen, wenn die Heimat zu eng wird und jeglicher Perspektive entbehrt? Soll die berufliche Karriere im Vordergrund stehen oder doch eher ein trautes Familienleben? Die Autorin beschreibt den inneren und äusseren Aufbruch zweier junger Oberwalliserinnen. Der Roman erweist sich damit auch als Sittengemälde der modernen Oberwalliser Lebensart und Mentalität, immer auch aus fraulicher Perspektive betrachtet.

Profi-Musikerin Bettina Herzog begleitete die Lesung passend und stimmig auf dem Akkordeon. Dabei nahm sie die kontroverse und vielfach auch suchende Stimmungslage der Romanfiguren auf und setzte sie melodiös um, sei es im Walzertakt oder mit Polka-Rhythmen. Ihre süss-schwere Begleitmusik vermied ganz bewusst alles allzu Harmonische und schuf damit ein Abbild der Roman-Handlung. Nach dem Studium am Konservatorium in Winterthur und der Hochschule für Musik und Theater in Biel/Bern lebte und musizierte Bettina Herzog vorerst in Basel und siedelte erst vor vier Jahren nach Brig über. Eine renommierte Basler Künstlerin, die es hier bei uns noch zu entdecken gilt, denn bewandert ist sie sowohl in der klassischen wie auch in der zeitgenössischen Musik. Mit ihrem Akkordeon liebt sie die Improvisation ebenso wie die Interpretation von Volksmusik aus aller Welt.

Grängjer Tulpen? Wer im Grängjer Publikum eine naturkundliche Abhandlung über „Grängjer Tulpen“ erwartet hatte, der musste sich umorientieren. Die Handlung in Kuonen-Kronigs Roman spielt sich zeitlich im Frühlingsmonat April ab, die Grängjer Tulpen jedoch blühen erst im Mai, also könne es sich bestimmt nicht um Grängjer Tulpen handeln, fand eine findige Zuhörerin heraus. Die gelben Tulpen nehmen vielmehr Bezug auf ein Ereignis in der Romanstory. Eine der Protagonistinnen, Nicole, muss unvermittelt ins Wallis zurückreisen, weil ihre Mutter an Herzversagen gestorben ist. Wie im Widerspruch zu diesem Ereignis blühen gelbe Tulpen vor dem Haus. „Es ist dies auch ein symbolischer Titel, der die enge Beziehung und Verbindung von Nicole zu ihrer Mutter aufzeigt“, erklärt die Autorin auf Nachfrage. Und natürlich stehe der blumige Titel auch symbolisch für alles Hoffnungsvolle, für das Zuversichtliche, denn nach jedem Schicksalsschlag gehe das Leben ja doch wieder irgendwie weiter, führt die Autorin aus.

„In jeder dieser Figuren ist auch ein Teil von mir“, gesteht die Autorin auf Nachfrage aus dem Publikum. (Bild: Kurt Schnidrig)

Sieglinde Kuonen-Kronigs Romanwelt ist realitätsbezogen. In jeder von ihren Frauenfiguren könne sich eine Leserin wiederfinden, ist die Autorin überzeugt. Wer schreibt, der offenbart auch immer wieder Teile und Aspekte des eigenen Wesens. Auch Ereignisse, welche die Autorin so oder ähnlich bewegt haben, dazu auch Charakterzüge und Eigenschaften, finden Eingang in das Erzählwerk.

„Bestimmt findet sich jede Leserin in einer dieser Frauenfiguren wieder. Die Leute, die mich gut kennen, werden auch mich in diesem Buch irgendwo erkennen.“

Sieglinde Kuonen-Kronig

Die Protagonistinnen in Kuonen-Kronigs „Tulpen-Romanen“ stehen für typisierte Frauencharaktere im heutigen Wallis. Nicole und Sophie lernen sich in Brig kennen. Sophie lebt in einer gefestigten Paarbeziehung und führt ein völlig anderes Leben als Nicole, der ein Leben in Freiheit und Unabhängigkeit vorschwebt. Dennoch entwickelt sich eine Freundschaft zwischen den beiden Frauen. Regelmässig treffen sie sich im Dorfbistro zum Kaffee. Nicoles Gefühlswelt gerät völlig aus dem Lot. Ist sie bereit, ihr Leben als Single aufzugeben? Oder träumt sie weiter ihren Traum von Freiheit und Unabhängigkeit? Der nun ebenfalls vorliegende zweite Band der Romanstory wartet mit überraschenden Wenden auf.

Sieglinde Kuonen-Kronig ist in einer Berufspause zum Schreiben gekommen. Dass sie als ausgebildete Logopädin eine Nähe zur Sprache hat, liegt auf der Hand. Nun ist das Schreiben zu ihrer grossen Leidenschaft geworden, was sie auch als Vizepräsidentin des Vereins „Literatur CLUB73“ eindrücklich, kreativ und phantasievoll an den Tag legt. In ihren Romanen verarbeitet sie Themen, die sie beschäftigen. Es sind dies Themen wie Weggehen, Zurückkommen, die eigenen Wurzeln spüren, aus der Enge der Provinz flüchten. „Alle meine Figuren stehen mitten im Leben, sie sind lebenserfahren, haben viel erlebt, nun müssen sie sich jedoch mit einem unverhofften Ereignis oder auch mit ihrem Schicksal auseinandersetzen“, resümiert die Autorin.

Der „Grängjer Kultursommer“ findet seine Fortsetzung am 22. Juli mit der Schauspielerin Barbara Heynen, die Szenen aus „Menschen und Tiere“ vortragen wird. Wie Dr. Karin Hopfe seitens der Kulturkommission Grengiols weiter mitteilt, werden Erzählungen und Tiergeschichten, die eigentlich von Menschen und dem menschlichen Charakter handeln, im Zentrum stehen. In der Fabel treten die Tiere als Stellvertreter der Menschen auf, und die Grenze zwischen Mensch und Tier ist klar gezogen. Was aber, wenn diese Grenze verschwimmt? Davon handeln die Texte dieser Lesung, „die zwar keine Fabeln, aber immer fabelhaft sind“, verspricht Karin Hopfe.

Text und Fotos: Kurt Schnidrig