Literatur-Stars

Bei meinen vergangenen Literaturabenden dieses Frühlings im rro-Studio Barrique waren jeweils an die zweihundert Gäste in der Live-Sendung und über zweitausend Zuschauer sahen sich die Literatur-Show zu Hause am TV oder am PC an.  Sogar ein Podiums-Gespräch mit fünf Fachleuten zum Thema „Das Wunder des Lesens“ sahen sich gegen zweitausend Interessierte zu Hause im Livestream an. Das sind ganz neue Dimensionen für Literatur-Anlässe. Eine Gast-Autorin meinte denn auch etwas schmeichlerisch, in meiner Sendung fühle man sich wie ein Literatur-Star. Das ist nun zwar etwas übertrieben, aber stolz macht es dennoch. Die Frage sei gestellt: Wer sind sie aber wirklich, die Literatur-Stars?

Die Antwort finde ich im Roman „Das unendliche Buch“ der Walliserin Noëlle Revaz, die dafür im Jahr 2015 den Schweizer Literaturpreis erhalten hat. Sie unterscheidet bei dieser Frage zwischen „Früher“ und „Heute“. 

Früher seien die Literatur-Stars geschickt darin gewesen, ihr kleines System zu erschaffen, in dem Leute, die Bücher gelesen hatten, die besten waren. Leute, die nichts gelesen hatten, waren in diesem System nur die Mittelmässigen, schreibt Revaz. In früheren Zeiten hätten die Literaten vor der Kamera herumsülzen dürfen, sich ausbreiten, Tee schlürfen und sich quasi ausziehen – einfach nur, weil man ein paar dutzend oder hundert Bücher im Kopf hatte. Diese Zeiten seien nun aber verflossen, konstatiert Revaz in ihrem Roman.

Heute hätten die modernen Literatur-Stars etwas Handfesteres vorzuführen, gibt sich die Autorin Noëlle Revaz überzeugt. Etwas Handfesteres, darunter kann man etwa das Folgende verstehen:  ein enges oder sehr knappes Kleid, gemachte Brüste, eine fehlgeschlagene Schönheitsoperation, eine junge Geliebte, eine Goldmedaille oder zumindest eine schreckliche Kindheit.

Moderne Literatur-Stars kommen nicht ins Studio, um dort Hahnenkämpfe oder Rangstreitigkeiten auszufechten. Sie kommen einfach nur, um etwas zu zeigen, hält Noëlle Revaz in ihrem Buch fest.

Die Literatur-Stars von früher seien arme Wichte gewesen, fährt Noëlle Revaz fort. Sie hätten der Realität nicht ins Auge geblickt. Sie hätten sich unter ein Joch von Wörtern begeben. Man hatte sich jahrelang abrackern müssen, ehe man im Hinterkopf einen Vorrat beisammen hatte, mit dem man es wagen konnte, sich vor den Kameras auszudrücken.

Die Ausführungen von Noëlle Revaz laden ein, sich über den Begriff „Star“ grundsätzliche Gedanken zu machen. Es gibt heute so viele Schauspielerinnen, Sportler oder Sängerinnen, die vor den Kameras einfach irgendwann irgendetwas sagen. Das reicht meistens schon um ein Publikumsliebling zu werden. Bei den Fussballern ist es am extremsten. Ein Sion-Star ist man bereits, wenn man weiss, auf welcher Seite das Tor steht, in das der Ball rein muss. Beim TV ist schon ein Fernseh-Star, wer das Wetter mehr als einmal korrekt ab dem Teleprompter abgelesen hat…

Doch genug der Häme. Seien wir einfach froh und dankbar darüber, dass es noch immer echte Literatur-Stars gibt. Auch solche von der „alten Schule“.

Zum Bild: Viel Publikum an den Literaturabenden im rro-Studio Barrique in Eyholz. Foto: rro.