„Der Mensch ist, was er isst“. Diese Aussage stammt vom Philosophen Feuerbach. Der Schweizer Universalgelehrte Lavater setzte Ende des 18. Jahrhunderts noch einen drauf und ergänzte: „Der Mensch ist, was er isst – und sieht oft dementsprechend aus“. Bereits seine Zeitgenossen hielten solche Aussagen für ziemlichen Unfug. In fast allen Kulturen hat das Essen aber eine grosse gesellschaftliche und politische Bedeutung. Davon können all jene viel erzählen, die sich zur Zeit ferienhalber an fernen Stränden tummeln oder die fremde Länder erkunden.
Die beiden Germanistinnen Kikuko Kashiwagi-Wetzel und Anne-Rose Meyer haben in ihrem Buch „Theorien des Essens“ literarische Texte und Ansichten rund ums Essen zusammengetragen. Gibt es sie nun, diese fischessenden Goldkettchen-Machos entlang der Mittelmeerküsten und in der Karibik? Vieles scheint reine Projektion von irgendwelchen Intellektuellen zu sein. Tatsache aber ist, dass sich viele Literaten geradezu akribisch mit der Esskultur befasst haben: Da gibt es das hierarchisch zelebrierte Essen im Sinne einer Machtdemonstration (bei Elias Canetti), das Essen bestimmter Speisen zur Erinnerung an wichtige Lebenssituationen (bei Marcel Proust) oder die witzige Reflexion über die „McDonaldisierung der Gesellschaft“ (bei Georg Ritzer).
Der kreative Leser darf diese literarischen Texte zum Thema Essen beliebig nach eigenem gusto ergänzen. Liesse sich über die „McDonaldisierung der Gesellschaft“ nicht trefflich philosophieren? Genau so schnell, wie wir im McDonalds ein Big Mac Menu verschlingen, genau so schnell konsumieren wir die (eigentlich) schönsten Dinge des Lebens: Eine meiner Bekannten jettet mit dem „Dreamliner“ in vier Tagen von Hongkong nach Katar. Und Asiaten buchen ein „Package Schweiz“ mit den Inhalten Luzern (Kapellbrücke), Berner Oberland (Bond World 007 Mürren-Schilthorn), Zermatt (Kleines Matterhorn) – alles in nur zwei Tagen.
Woher aber kommt unsere Präferenz für die exotische Küche? Der Autor Konrad Köstlin vermutet, unsere Präferenz für die exotische Küche beweise lediglich, dass wir das Fremde „vereinnahmen“ möchten. Nach Köstlin würden wir also mit dem exotischen Essen auch das Fremde, Land und Leute, in uns aufnehmen, verschlingen. Für uns als Fremde im fremden Land liesse sich demnach Fremdes beim Essen einverleiben.
Die beiden Herausgeberinnen des Buches „Theorien des Essens“ weisen zu Recht darauf hin, dass Interpretationen des Essens seit jeher ein wichtiger Bestandteil unserer Kultur waren. Was nur wäre aus der Menschheit geworden, wenn damals im Paradiesgarten die Eva nicht den Adam mit einem Apfel verführt hätte? Nun ja, es war ein saurer Apfel, in den Eva und Adam bissen, aber immerhin. Der englische Dramatiker und Humorist Douglas Jerrold meint: „Eva hat den Apfel nur deshalb gegessen, weil sie endlich Kleider haben wollte.“
Lesen und essen haben einiges gemeinsam. Haben Sie auch schon mal ein Buch verschlungen? Oder hat Ihnen mein Blog vielleicht gar Nahrung für den Geist geboten? Eben. Georg Simmel publizierte eine „Soziologie der Mahlzeit“. Und Friedrich Nietzsche verfasste eine Streitschrift gegen die „plumpe deutsche Mehlspeisen-Kultur“.
Theorien des Essens. Das ist eine feine Lektüre, die schmeckt. Guten Appetit!
Literaturangabe: Kikuko Kashiwagi-Wetzel und Anne-Rose Meyer (Hg): Theorien des Essens. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 459 Seiten.
Zum Bild: McDonaldisierung der Gesellschaft. Foto: Kurt Schnidrig.