Der ganz normale Wahnsinn

Das Leben ist kein Biskuit. Oder um mit Rolf Hermann zu sprechen: Das Leben ist ein Steilhang. So heisst denn auch sein aktuelles Buch, das in der edition spoken script erschienen ist. Rolf Hermann traf ich in der exquisiten und noblen Lounge der Thermal Hotels Leukerbad. Die Lounge war menschenleer, ausgestattet mit schweren Polstersesseln und so ruhig, dass ich ohne weiteres Radioaufnahmen in Studioqualität hätte herstellen können. Einen Augenblick lang überlegte ich mir, ob dies für Rolf Hermann und sein literarisches Schaffen ein passender Rahmen sei. Aber es gibt wohl keinen passenden Rahmen für einen, dessen literarische Intention darin besteht, den alltäglichen Wahnsinn einzufangen. Zumindest ist dies eines der vielen Ziele des Schriftstellers Rolf Hermann. Denn sein Werk ist äusserst vielgestaltig.

Das Leben sei ein Steilhang für uns alle, die wir aus dem Wallis kommen, erklärt mir Rolf Hermann. Links und rechts unseres Tales geht’s jeweils steil hinauf. Das Bild vom Steilhang lasse sich jedoch auch auf viele seiner Texte anwenden, denn diese seien auf eine Pointe hin ausgerichtet.

Hermanns Texte geben der Mündlichkeit den Vorrang. Das Mündliche sei auch literaturhistorisch der Schriftlichkeit immer vorausgegangen, weiss Hermann. Wie kann ich einen Text schreiben, den ich bereits jahrelang auf der Bühne vorgelesen habe? Die „edition spoken script“  hat sich auf die Herausgabe solcher Texte spezialisiert, die eigentlich für die mündliche Performance entstanden sind. Viele seiner Texte seien ursprünglich für die Bühne geschrieben worden. Rolf Hermanns Texte sind also zuerst alle in der walliserdeutschen Sprache geschrieben. Um die Verständlichkeit auch für Nicht-Walliser sicherzustellen, habe er im Buch dann auch noch eine Fassung in hochdeutscher Sprache mitgeliefert.

In Rolf Hermanns Werk nehmen Kurz- und Kürzestgeschichten einen grossen Raum ein. Sie sind meistens auf eine Pointe hin ausgerichtet. Was mich interessiert: Hat der Schriftsteller beim Schreiben zuerst die Pointe im Blick oder ergibt sich diese erst während des Schreibens? Die Pointe sei für ihn absolut zentral, besonders deshalb, weil er oft Texte für das Schweizer Radio schreibe, die nicht länger als eine Minute dauern dürften. Oftmals sei die Pointe schon da, und dann müsse er den Text rund um die Pointe herum aufbauen: Eine Einleitung bauen und dann mit beim Schreiben auf die Pointe hin zusteuern. Texte jedoch, die nicht fürs Radio bestimmt sind, die würden eher aus einer Situation heraus entstehen, und da würde sich die Pointe eher während des Schreibens ergeben.

Rolf Hermanns Texte sind witzig. Welche Bedeutung der Humor für ihn habe, wollte ich von Rolf Hermann wissen. Zum einen seien die witzigen Sprachspiele für ihn wichtig. Der Ernst sei eher dann vorhanden, wenn er Lyrik verfasse oder hochdeutsche Sätze schreibe. Im Walliserdeutschen sei jedoch sehr häufig eine Art von „schwarzem Humor“ unterschwellig vorhanden. Dieser Humor, der in den Mundart-Texten mitschwingt, könne auch dazu beitragen, dass er den Beruf des Schriftstellers hoffentlich noch lange ausüben könne, verrät mir Rolf Hermann.

Seine Texte atmen den Geist des Dadaismus, sie seien geschrieben ganz im Stil eines Ernst Eggimann oder Ernst Jandl, versuche ich eine Einordnung. Rolf Hermann ist mit dieser meiner literaturhistorischen Einordnung seines Werks  absolut einverstanden. Er habe auch viele amerikanische Lyriker gelesen, dann habe er sich dem Schreiben in der walliserdeutschen Sprache zugewandt, da habe ihn auch ein Hannes Taugwalder mitgeprägt. Besonders mit seinen witzigen Fabeln habe Taugwalder ihn motiviert. In Bern hätten dann Ernst Eggimann und Kurt Marti sein Schaffen beeinflusst. Bei einer Berner Bühnengruppe habe er dann später auch Bekanntschaft geschlossen mit Pedro Lenz, Beat Sterchi, Guy Kneta und anderen, die ihn in die Mundart-Szenerie eingeführt hätten. Weil es wenige Autoren gebe, die in Walliserdeutsch schreiben, sei dies für ihn eine Herausforderung gewesen.

Wie aber verträgt sich das Witzig-Humorvolle mit den brachialen Walliser Sagen, die in seinem Werk auch immer wieder Eingang finden? Er habe festgestellt, dass sein Publikum es schätze, wenn unterschiedliche Inhalte geboten würden, erklärt mir Rolf Hermann. In seinem Werk stünden zärtliche Liebesgedichte neben absurden Texten und brachialen Sagen, vieles sei möglich. Die Vielfalt sei ihm wichtig für sein literarisches Schaffen. Er möchte sein Schreiben noch verfeinern, aber in unterschiedlichen Genres ansiedeln.

Bringen die Texte den alltäglichen Wahnsinn zum Ausdruck? Ja, das sei so, muss Rolf Hermann zugestehen, vor allem in seinem neusten Buch „Das Leben ist ein Steilhang“. Häufig höre oder lese er Geschichten, die er dann mit einem schwarzen Humor unterlege. So entstünden unterhaltsame Texte, die einem jedoch beim Lachen auch mal den Boden unter den Füssen wegzögen.

Zurzeit ist Rolf Hermann auch an der Bühne Mörel tätig, die in zwei Monaten das Stück „Peer Gynt“ von Henrik Ibsen aufführt. Einerseits habe er den Text von Peer Gynt übersetzt und bearbeitet. Andererseits habe er auch an der Figurenentwicklung mitgearbeitet. Wer wäre Peer Gynt geworden, wenn er im Wallis aufgewachsen wäre? Wie hätte er sich verhalten? Die Schauspieler hätten Interviews geführt mit unterschiedlichen Leuten, mit Art Furrer, mit Erika Stucky, mit Eliane Amherd zum Beispiel, aber man habe auch Lebensläufe berücksichtigt von Bergsteigern, die im vorigen Jahrhundert gelebt haben. Aus Elementen dieser Biographien seien jetzt neue Figuren entstanden. Daraus seien Szenen entstanden, welche diesen Figuren entsprechen.

Warum eigentlich ist Rolf Hermann der einzige Walliser, der es ans Literaturfestival geschafft hat? Es müsse von einem Autor ein aktuelles Buch vorliegen, das in einem renommierten Verlag erschienen sei, gibt Rolf Hermann zu bedenken. Und: Es brauche auch ein wenig Glück, denn das literarische Angebot sei gross. Nicht nur Autorinnen und Autoren aus dem deutschsprachigen Raum würden eingeladen, sondern auch aus Übersee oder gar aus Neuseeland.

Die ganze Welt ist zu Gast am Literaturfestival Leukerbad. Wer es schafft, als Autor im Bäderdorf aufzutreten, darf sich der literarischen Elite zurechnen. Dies macht das Literaturfestival Leukerbad wertvoll und unvergleichlich.

Zum Bild: Rolf Hermann im Gespräch mit rro-Literaturxperte Kurt Schnidrig. Foto: rro.