Wer sich in Honkong in einen Buchladen verirrt, der findet viele Bücher über den Westen. Möglich, dass Donald Trump mit seinem „America first“ – Getue die chinesische Supermacht herausgefordert hat. Der Titel eines Buches heisst „Freundliche Übernahme“. Die Autoren dokumentieren, wie China sich auch in den westlichen Industrienationen wichtige Rohstoffquellen ergattert, die dann mit chinesischem Knowhow erschlossen werden sollen.
Doch in Hongkong fragt man sich auch ganz ungeniert: Wie können wir (Chinesen) auf den Westen noch mehr Einfluss nehmen? Wie funktioniert die westliche Industriespionage? Wie effektiv ist die westliche Internetsicherheit? Chinas Griff nach Europa ist überall spürbar. Selbst die älteste Institution des Westens, der Vatikan, sucht den richtigen Umgang mit der aufsteigenden Supermacht.
Wie gross Chinas Einfluss auf die westlichen Industrienationen ist, das zeigen die Buch-Autoren anhand von Beispielen aus der Wirtschaft, aus der Politik und auch ganz allgemein anhand von Fallbeispielen aus unserer Gesellschaft. Sowohl ein Besuch in Hongkong als auch die Lektüre der einschlägigen Bücher stimmen nachdenklich.
Waren wir nicht alle bis noch vor kurzem überzeugt, China werde sich bezüglich seiner wirtschaftlichen Entwicklung dem Westen und dessen Wertesystem anpassen? Das war ein grosser Irrtum, das Gegenteil ist eingetreten: China bietet uns Westlern eine verhängnisvolle Alternative. Es wäre fatal, wenn sich die westliche Führungs-Elite von der autoritären chinesischen Politik und von der gelenkten chinesischen Wirtschaft blenden und verführen liesse.
Die Autoren stellen uns westlichen Lesern denn auch provokativ die Frage, ob nicht tatsächlich China den Westen und die europäischen Länder verändere. Die Chinesen bauen bei uns Flughäfen, sie kümmern sich um die westliche Stromerzeugung und sie sind auch gross im Geschäft in Sachen Technologie und Robotertechnik.
Wer den chinesischen Einfluss auf unsere westlichen Länder gerne in Zahlen ausgedrückt hätte, bitte schön: Im vergangenen Jahr investierte Peking in den Ländern der Europäischen Union rund 35 Milliarden Euro, dies entspricht im Vergleich zum Vorjahr einem Zuwachs von – sage und schreibe – 77 Prozent!
Waren die europäischen Firmenbosse bis noch vor kurzen der Meinung, Chinas Griff nach Europa stärke den Standort, schaffe Arbeitsplätze und eröffne für Länder wie die Schweiz auch Absatzmärkte im fernen Asien, hat jetzt die Stimmung umgeschlagen. Nicht bei allen lösen Chinas Investitionen nur Beifallsstürme aus.
Europa muss sich der Konsequenzen bewusst sein, welche die knallharte chinesische Industriepolitik auslöst. Chinas Suche nach Rohstoffen ist mittlerweile zu einer Jagd nach europäischem Knowhow geworden.
Literatur: Juan Pablo Cardenal, Heriberto Araùjo: Freundliche Übernahme. Chinas Griff nach Europa. Hanser Verlag, 352 Seiten.
Zum Bild: Geschäftsleben in Hongkong. Foto: Schnidrig.