Ein persönliches Gespräch mit dem Schriftsteller Thomas Lehr hat mir seinen literarischen Kosmos offenbart. Was treibt den diesjährigen Spycher Literaturpreisträger um? Was bewegt ihn? Warum schreibt er Romane? Er hätte nie davon zu träumen gewagt, vom Wallis als Schriftsteller ausgezeichnet zu werden, verriet er mir. Das Interesse an der Natur, an der Bergwelt, verbinde ihn mit unserer Region. Das Wallis fasziniere ihn, der in der Stadt Berlin lebt, aber auch als Kulturregion. Thomas Lehr wird in den nächsten Jahren immer wieder zu uns ins Oberwallis zurückkehren, um Freundschaften zu schliessen, und um unsere Region in ihrer ganzen Vielfalt kennenzulernen.
Dieser Reiz, immer besser zu werden, treibt den Schriftsteller Thomas Lehr an. „Meine ersten Romane waren Zweitausender“, meint er mit einem Lächeln. „Jetzt aber werde ich im Viertausender-Bereich bauen.“ Und wie er sich das denn vorstelle, wollte ich von Thomas Lehr wissen. „Ich nehme mir vor, schwierigere Romane zu schreiben“, verrät er mir. „Als Künstler reift man da heran. Von Roman zu Roman merkt man, dass die Ausdrucksmöglichkeiten steigen. Dies gelingt durch das Training, das man beim täglichen Schreiben hat.“ Und mit einem Augenzwinkern fügt er an: „Das ist wie beim Bergsteigen. Ich kann höher steigen. Es ist einfach ein Reiz, immer mehr zu geben, immer höher zu klettern. Diesem Reiz, mich zu steigern, bin ich ziemlich erlegen.“
(K)ein Bestseller-Autor. Nein, ein Bestseller-Autor habe er nie wirklich sein wollen, gesteht Thomas Lehr. Was ihn denn zum Schreiben motiviere, hakte ich nach. Die Antwort kam wohl überlegt: „Ich wollte immer für erfahrene Leser schreiben. So wie ein Viertausender für erfahrene Bergsteiger da ist, so wollte ich ein Autor sein für erfahrene Leser. Ich wollte immer besondere literarische Aussichten bieten. Bei meinen Büchern muss man schon ein bisschen belesen sein, aber dann bieten sie auch Spektakuläres.“
Sich von den Figuren inspirieren lassen. Thomas Lehr ist einer, der sich in vielen Disziplinen auskennt. In Geschichte, in Kunst, in der Historie. Die wissenschaftlichen Disziplinen bieten Stoff für Sachbücher, aber nicht für das Schreiben eines Romans. Welchen Stellenwert denn die Fiktion in seinem Schaffen habe, wollte ich von Thomas Lehr wissen. Daraufhin verrät mir der Schriftsteller sein Vorgehen. „Ich habe zuerst eine Vision des Themas, diese ist oft sehr abstrakt. Daraus kann ich keinen Roman konstruieren. Um schreiben zu können, gehe ich von der Figur aus. Ich denke mich in diese Figur hinein. Dadurch entsteht Lebendigkeit. Als Romanautor bin ich ein grosser Puppenspieler. Ich lasse mich aber auch führen von den Figuren. Ich lasse alles durch die Figuren transportieren. Dies allein ist mein Trick. Deshalb bin ich Romanschriftsteller geworden und kein Sachbuchautor.“
Text und Fotos: Kurt Schnidrig