Prinzessin Eugenie und ihr Jack Brooksbank haben sich am Freitag das Ja-Wort gegeben. Pleiten, Pech und Pannen begleiteten die feierliche Zeremonie in der St.-Georges-Kapelle von Schloss Windsor. Nun gut, lieber jetzt als nach dem ersten Ehejahr. Einige kleine Pannen sind kaum der Rede wert. Sie sind einfach nur dem heftig wehenden Wind geschuldet. Auf dem Weg zur Kirche flog der einen oder der anderen das schicke Hütchen davon. Ein unfreiwilliger Hingucker war der Höschenblitzer bei einer der Nannys von Prinzessin Charlotte. Jack Brooksbank kriegte den Ehering partout nicht an den Finger von Prinzessin Eugenie. Der Ring war zu eng. Die kleine Prinzessin Charlotte fiel beim Treppensteigen auf die Nase. Das alles waren einfach nur „Peanuts“. Die Mega-Panne aber, das war die Lesung zur Hochzeit.
Horror-Story statt Liebesgeschichte. Die Braut hatte für die Lesung einen Ausschnitt aus dem Roman „Der grosse Gatsby“ von F. Scott Fitzgerald ausgewählt. Die Schwester der Braut, Beatrice, hatte den Job übernommen, diesen Ausschnitt aus dem Jahrhundert-Roman vor der Trauung vorzulesen. Dem einen oder anderen Literaturkenner lief es bereits bei den ersten Worten von Beatrice eiskalt den Rücken hinunter. Wer wählt denn schon für die Lesung zur Hochzeit „The Great Gatsby“? Das ist ein zappendusterer Roman voll von sexueller Doppelmoral, ein Roman mit dekadenten Superreichen als Protagonisten, die alles um sich herum rücksichtslos zerstören. Die Hauptfigur im Roman, Jay Gatsby, ist ein Betrüger, der sich auf unehrliche Art und Weise bereichert. Am Schluss des Buches ist Jay Gatsby ein toter Mann, und kein einziges menschliches Wesen nimmt an der Beerdigung teil. Dies zumindest ist die Sicht der Literaturkritik. Prinzessin Eugenie hatte diese Lesung zur Hochzeit jedoch bewusst gewählt, weil die Figur des Jay Gatsby sie an ihren Gatten Jack erinnere. Das „besondere Gatsby-Lächeln“ habe Prinzessin Eugenie fasziniert.
Wovon handelt eigentlich „Der grosse Gatsby“? Hat nun Prinzessin Eugenie sich tatsächlich in der Literatur vergriffen? Oder eignet sich „Der grosse Gatsby“ problemlos für eine Lesung zur Hochzeit? „Der grosse Gatsby“ ist ein Meisterwerk, das eine ganz neue Sicht auf die „goldenen Zwanziger“ eröffnet. Der Roman ist in der Ich-Perspektive gehalten. Er erzählt von ausschweifenden Partys, die der Autor Fitzgerald selber besucht hatte. Der Ich-Erzähler heisst im Roman Nick Carraway. Sein Nachbar ist Jay Gatsby, ein Millionär, der in einer schlossähnlichen Villa lebt. Nach aussen wirkt Jay Gatsby als ein skrupelloser Geschäftsmann. Die Ursache für seinen unmoralischen Lebenswandel ist eine verflossene Liebe, der Jay Gatsby nachtrauert. Sie hiess Daisy, sie hatte ihn während seiner Zeit als Soldat verlassen, und sie hatte sich dem Polospieler Tom Buchanan an den Hals geworfen. Doch spannt nun Jay Gatsby seinerseits einem Kollegen die Frau aus. In seinem Inneren jedoch ist Jay Gatsby immer noch in Liebe zu Daisy entflammt. Der gehörnte Ehemann Daisys erschiesst daraufhin Jay Gatsby.
„Der grosse Gatsby“ als Lesung zur Hochzeit? Ja, das kann man machen. Das lässt sich begründen mit der ewigen Liebe, die Jay Gatsby ein Leben lang in sich trägt. Als psychologische Begründung für den unmoralischen Lebenswandel des Jay Gatsby lässt sich die Untreue seiner geliebten Daisy anführen. Also, Liebe über alle Hindernisse hinweg, das ist gewiss ein Motiv, das sich als Lesung zur Hochzeit eignet. Liebe Prinzessin Eugenie, die Wahl dieser Textstelle aus „Der grosse Gatsby“ war gar nicht so schlecht. Nur würde ich die Textstelle in einen erklärenden Kontext einbinden, den deine Schwester Beatrice frei dazu hätte sprechen können. Dies nur so (m)ein Ratschlag für das nächste Mal. Natürlich hoffen wir alle, dass es kein nächstes Mal gibt und sich ergo eine erneute Lesung zur Hochzeit erübrigt.
Als Trostpflästerchen für Prinzessin Eugenie und ihre Schwester Beatrice mögen die vielen Highlights dienen, die auch diese royale Hochzeit zu einer Märchenhochzeit haben werden lassen: Prinz Harry, Prinz William und seine Frau Herzogin Kate verliehen der Hochzeit blaublütigen Charme. Angeführt von Topmodel Cara Delevingne waren die Promigäste echte Hingucker. James Blunt erschien mit seiner Frau Sofia Wellesley. Und haben Sie gesehen, wie grossartig sich Popstar Robbie Williams und Ehefrau Ayda Field herausgeputzt haben? Und – ach! – Supermodel Naomi Campbell kam in Schwarz zur Hochzeit. Ob sie sich bei der Kleiderwahl wohl von Jay Gatsbys tragischer Beerdigung hat inspirieren lassen? Zu Naomi Campbells trauriger Robe gab es jedoch ein fröhliches Gegenstück: Die schwangere Pippa Middleton – o sorry, jetzt heisst sie Matthews – sorgte ganz in Grün für hellstes Entzücken. Nicht vergessen wollen wir die Tausenden Royal-Fans, die dem Brautpaar mit ihren Union-Jack-Fähnchen zujubelten. Spätestens jetzt haben wir alle den „Grossen Gatsby“ in bester Erinnerung. Die Lesung zur Hochzeit war toll, oder?
Text und Fotos: Kurt Schnidrig