Wissenschaftliche Mythen auf dem Prüfstand. Es ist schon bemerkenswert, woran die Leute zu glauben bereit sind. Hauptsache, es hilft. Wenn bei nasskaltem Wetter die Nase läuft und der Schädel brummt, dann hilft Hühnersuppe. Wer in die Jahre gekommen ist und nicht mehr allzu taufrisch wirkt, dem bringt ein tägliches Glas Rotwein die Jugend zurück. Sind die Kinder oft krank, dann sorgt ein Haustier für eine rasche Gesundung. Und ja, auch für die Schleckmäuler unter uns gibt es eine frohe Botschaft: Schokolade macht schlau!
Jeder möchte gern lange leben. Wer gesund, aktiv und schlank bleiben möchte, der hat immer zwei Möglichkeiten. Entweder man lebt asketisch und bewegt sich ausgiebig. Oder man vertraut auf die vielen Hausmittelchen, die da mehr oder weniger vertrauenswürdig angeboten werden. Im Buch „Schokolade macht schlau“ haben zwei Autoren von Stiftung Warentest, Marleen Finoulst und Patrik Vankrunkelsven, derartige Medizinmythen auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. Das Ergebnis ist ein ebenso fundiertes wie kurzweiliges Gesundheitsbuch. Ich habe es mit einem Schmunzeln gelesen. Ein paar besonders häufige Medizinmythen seien hier entlarvt.
Macht Schokolade schlau? Nicht nur Schleckermäulchen dürfte interessieren, ob tatsächlich ein Zusammenhang zwischen Intelligenz und Schokoladenkonsum besteht. Tatsächlich legte eine 2016 publizierte Studie aus den USA nahe, dass sich der regelmässige Genuss von Schokolade positiv auf die Funktionsfähigkeit des Gehirns auswirkt. Doch bei näherem Hinsehen ist dies keinesfalls bewiesen. Auch wenn die letzten schlüssigen Beweise fehlen, glaube ich der Studie aus den USA. Na ja, vielleicht macht die Schoggi doch nicht clever, aber ganz sicher macht sie glücklich. Persönlich verrate ich hiermit öffentlich mein „Doping“, das mich alle Prüfungen meines Germanistik-Studiums in Rekordzeit hat bestehen lassen: Ich habe jeweils vor einem Examen eine ganz grosse Stange Toblerone-Schokolade verdrückt. Und es hat funktioniert. Weil ich aber der Wissenschaft verpflichtet bin, muss ich auch zitieren, was die Autoren der Stiftung Warentest herausgefunden haben. Zitat: „Unstrittig ist einzig, dass Schokolade viel Zucker und Fett enthält und damit eine echte Kalorienbombe darstellt.“ Aber hallo! Wer will denn sowas hören?
Ist Rotwein ein Anti-Aging-Mittel? Seit ich die 60 erreicht habe, habe ich aufgehört, meine Geburtstage zu zählen. Dafür trinke ich jetzt hin und wieder ein Glas Rotwein. Auch dazu haben mich die Amerikaner mit ihren verteufelt guten Studien verführt. Das Experiment liest sich so kompliziert, dass es bestimmt seriös sein muss, dachte ich mir. Amerikanische Wissenschaftler haben Experimente mit Labormäusen durchgeführt und diese in Gruppen aufgeteilt. Eine Gruppe bekam eine niedrigkalorische Kost, ein mit Resveratrol angereichertes Futter. Resveratrol ist ein Antioxidans aus der Schale roter Trauben. Eine andere Gruppe erhielt ganz normales Futter. Nach zwei Jahren untersuchte man die Körper der Mäuse mit einer Biopsie und bewertete ihre Muskeln und Nervenzellen. Die Mäuse, die Resveratrol sowie eine niedrigkalorische Kost bekommen hatten, zeigten eine geringere Teilung von Muskel- und Nervenzellen, was ein Hinweis auf einen verzögerten Alterungsprozess ist. An dieser Stelle sollte man aufhören zu lesen. Denn – wie befürchtet – folgt jetzt das grosse Aber: Die Mäuse bekamen eine grosse Dosis Resveratrol pro Tag, und zwar 400 Milligramm pro Kilo pro Tag. Rotwein enthält jedoch lediglich zwischen 0,2 und 12,6 Milligramm pro Liter. Eine 70 Kilo schwere Frau müsste also im Vergleich 2000 Liter Rotwein trinken! Auch wenn dieser ausgiebige Weinkonsum unsere Walliser Weinproduzenten freuen würde: Das wäre dann aber nicht mehr Anti-Aging, das wäre leider der sichere Tod!
Hühnersuppe bei Erkältungen? Immerhin, hier gibt es als Antwort ein Ja und ein Nein, also ein Jein. Zuerst: Es konnte nicht nachgewiesen werden, dass Hühnersuppe tatsächlich hilft. ABER: Es hilft der Konsum der heissen Suppe, weil man den Kopf über den heissen Dampf hält und dadurch die Atemwege befeuchtet werden. Da könnte man aber auch einfach mit einem Handtuch über dem Kopf und heissem Wasser inhalieren. Im Hals wirkt die heisse Suppe gegen den Husten genauso gut wie ein Tee. Ausserdem sorgt die Suppe dafür, dass der Patient viel Flüssigkeit zu sich nimmt. Das würde mit Tee oder mit Gemüsesuppe genauso gut gehen. Oder mit heissem Wasser. Der Vorteil dabei ist: Der Gockel und seine Hühner brauchen nicht in heisser Brühe zu enden.
Kennen Sie weitere Medizinmythen? Vielleicht kennen Sie, liebe Leserin, lieber Leser, eine Antwort auf folgende Fragen: Beeinflusst Musik unseren Geschmackssinn? Schützen drei bis vier Tassen Tee am Tag vor Demenz? Ist glutenfreie Ernährung ungesund? Beseitigt Sport die negativen Auswirkungen von Alkohol? Ist es gesund, jeden Tag kalt zu duschen? Helfen Granatäpfel gegen das Altern? Und: Haben Frauen, die gut schlafen, besseren Sex?
Nun, bestimmt lassen sich irgendwelche amerikanische Studien finden, die alle verlangten positiven Beweise auf diese Fragen liefern. Meine Empfehlung: Selber ausprobieren. Und vor allem: Ganz fest daran glauben!
Text und Foto (Symbolbild): Kurt Schnidrig. Buch-Cover: www.test.de