Corinna Bille und Maurice Chappaz sind so etwas wie ein Mythos in der Walliser Literatur. Obschon ein Liebespaar, haben sich die beiden Poeten dazu entschieden, ein Leben auf Distanz zu führen. Wie Nomaden zogen sie durchs Wallis, meist getrennt voneinander. Um schreiben zu können, brauchten sie ein freiheitliches Leben. Für die Literatur stellt sich diese Lebenseinstellung nun als ein glücklicher Umstand heraus. Dadurch, dass die beiden kaum je zusammen waren, haben sie sich nämlich viele Briefe geschrieben. Es sind Briefe, die die Liebe schrieb.
Die Liebe ist federführend. Der faszinierende und wunderbar emotionale Briefwechsel zwischen Maurice Chappaz und Corinna Bille nahm seinen Anfang in den Tagen des Zweiten Weltkriegs und zog sich hin bis zum Tod von Corinna Bille im Jahr 1979. Soeben ist der Briefwechsel der zwei Liebenden als Buch herausgekommen. „Ich werde das Land durchwandern, das du bist“ – welch wundervoller Buchtitel! Wir lesen in diesem Buch zärtliche und berührende Liebesbotschaften, wir erfahren aber auch von schweren Zeiten, welche die Liebe der beiden Poeten auf eine harte Probe gestellt hatten. Beide haben sie ihr Leben dem Schreiben gewidmet, beide haben sie Gedichte und Romane verfasst, und dafür haben sie viel Freiheit und Unabhängigkeit gebraucht.
Wild und provozierend. Damals, in diesem erzkonservativen Wallis, war das eine sehr provokative Liebschaft zwischen dem Dichter Maurice Chappaz und der Schriftstellerin Corinna Bille. Als verheiratete Frau hatte Corinna Bille ihre Liebe zu Chappaz oft verheimlichen müssen, und als ein uneheliches Kind aus dieser verbotenen Liebesbeziehung hervorging, musste dieses Kind heimlich in einem Versteck aufwachsen.
Ein Leben wie ein Hippie. Maurice Chappaz hatte sich selbst mit Überzeugung als ein Hippie bezeichnet. Er hatte unter Bäumen geschlafen oder auch im Glockenturm von Kirchen. Von da aus hatte er immer wieder berührende und zutiefst emotionale Briefe geschrieben an seine Geliebte, an die verheiratete Corinna Bille. Was die beiden verband, das waren ihre Walliser Wurzeln. Zuweilen brauchten Maurice und Corinna eine ruhige Oase, um ihre gemeinsame Liebe zu leben. So eine Oase war etwa ein Chalet in Chandolin im Val d’Anniviers.
Ein Liebesnest im Oberwallis. Auch im deutschsprachigen Kantonsteil hatte sich das Liebespaar ein Refugium eingerichtet. In der Nähe von Raron, im Weiler Geesch, hatte sich das unverheiratete Liebespaar ein halb verfallenes Chalet gemietet. Da, in Geesch, seien sie so glücklich gewesen wie nirgends sonst, wird Maurice Chappaz in seinen Erinnerungen festhalten. Das Paar bezog später ein eigenes Haus im Pfynwald, und kurz vor ihrem Tod durften sie in ein feudales Haus einziehen, in Veyras, einem Dorf oberhalb von Siders.
Mit dem Herzen sehen. Im Briefwechsel der beiden Liebenden ist viel wundervoll Poetisches auszumachen. Besonders auch die kleinen alltäglichen Wunder haben da Eingang gefunden: das Aufblühen der Mandelbäume, das Singen der Nachtigall. Immer aber ist da auch nachzulesen, welch grosse und zauberhafte Liebe die beiden verband. Es war dies eine Liebe, die auch zu grossartigen schrifstellerischen Werken animierte und motivierte.
Haben dich die Bergfeen bezirzt? Aus ihrer Hütte in Geesch bei Raron schrieb Corinna Bille an Maurice Chappaz: Lieber Maurice, liebst du mich noch? Es scheint mir – ich spüre es -, Du vergisst mich. Haben Dich die Bergfeen bezirzt? Ich habe ab und zu entsetzliche Sehnsucht nach Dir, wünschte mir, Du wärst hier, könntest dieselben Dinge sehen, dieselben Landschaften, die mir hier Freude machen. Ich kann es kaum erwarten, dir davon zu erzählen. Komm bald wieder, mein Maurice. Ich wünschte mir so sehr, du wärst hier… (Corinna Bille an Maurice Chappaz, 6. Juli 1944; In: „Ich werde das Land durchwandern, das du bist“, Seiten 160-161, gekürzt).
Text und Foto (Symbolbild): Kurt Schnidrig