Schriftsteller, Literaturdozenten und Germanisten sind gefragte Spezialisten in den Medien. Als Literaturexperten verstärken sie das Team der Journalisten. Sei es für eine fundierte Besprechung eines literarischen Anlasses, sei es für eine kreative oder manchmal auch provokative Meinung zum Tagesgeschehen. Auch das Publikum von Zeitungen, Radios und Fernsehanstalten schätzt die Einschätzung und Kommentierung durch die literarischen Schreibprofis. Seit Anfang dieses Jahres schreibt Lukas Bärfuss für den SonntagsBlick, Hansjörg Schneider hat seine Schriftsteller-Karriere bei der Basler Zeitung lanciert und Julia Weber schreibt für die NZZ – das sind nur drei Beispiele von vielen anderen. Es sind drei Beispiele, die illustrieren, wie sehr Literaten als Mitarbeiter in den Medien gefragt sind. Der Trend zeigt in die richtige Richtung: Runter vom Elfenbeinturm! Dem Publikum gefällts, in selbstgefällig-allmächtigen Journalistenkreisen allerdings brauchts jedoch noch ein Umdenken.
Lukas Bärfuss schreibt für den SonntagsBlick. Seit Januar dieses Jahres schreibt der Schriftsteller Lukas Bärfuss für den SonntagsBlick. Und dies, noch bevor er mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet wurde. Der „Blick“, gerne als „Boulevardblatt“ verschrien, bewies mit dem Engagement des Schriftstellers Lukas Bärfuss viel weise Voraussicht. Von allen Medien sind die Printmedien, insbesondere die Zeitungen, besonders stark in Rücklage geraten. Viel zu lange baute man vielerorts selbstgefällig-allmächtig auf die Journalisten im eigenen Medienhaus. Das funktionierte früher noch, als die Zeitungen praktisch im Alleingang für die Verbreitung der öffentlichen Meinung verantwortlich waren. Was „Schwarz auf Weiss“ in der Zeitung stand, schien die Wahrheit für sich gepachtet zu haben. Mittlerweile hat aber jede Vereinigung und jede Amtsstelle eigene Kommunikations-Verantwortliche. Sie füttern die Zeitungen und auch die übrigen Medien nach eigenem Gusto. Ein Umdenken ist angesagt. So freute sich Gieri Cavelty, Chefredaktor des SonntagsBlick, entsprechend über das Engagement von Lukas Bärfuss: „Wir leben in einer Zeit grosser Orientierungslosigkeit. In solchen Zeiten gewinnt die Figur des kritischen Intellektuellen wieder an Bedeutung.“ (Gieri Cavelty, Chefredaktor, im SonntagsBlick vom 11. Januar 2019).
Lukas Bärfuss schreibt über den „Zustand der Schweiz“. Ob Klimadebatte, Frauenstreik oder Artensterben – Lukas Bärfuss schreibt brillante Essays, es sind dies Leckerbissen im journalistischen Alltagsmenu. Einige Beispiele mögen den Sachverhalt illustrieren. Die journalistische Alltags-Schreibe funktioniert häufig nach dem abgegriffenen Muster „only bad news are good news – nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten.“ Schriftsteller Lukas Bärfuss sieht darin eine Dämonisierung der Menschheit. Da geht es zum Beispiel um den Uno-Biodiversitätsbericht, der zur Erkenntnis kommt, dass die Menschheit alles andere Leben verdrängt. Doch statt einfach Lösungen aufzuzeigen, würden die Medien dämonisieren und die kommende Katastrophe verkünden, schreibt Bärfuss. Die Liste der medialen Hiobsbotschaften wolle kein Ende nehmen: Eine Million Lebewesen vom Aussterben bedroht, ein Drittel aller Meeresfischbestände überfischt, ein Drittel der Landoberfläche für die landwirtschaftliche Produktion benutzt, und so weiter und so fort. Als Schriftsteller stellt Bärfuss ganz andere Lösungsansätze zur Debatte, als dies die mediale Alltagsschreibe vermag: „Statt den Menschen zu dämonisieren, muss das Bewusstsein für seine Verantwortung entwickelt und gefördert werden“, schreibt er. Und: „Wir müssten uns auf das besinnen, was den Menschen im Kern auszeichnet: auf seine Solidarität, sein Mitgefühl und seine Sehnsucht nach einer globalen Gerechtigkeit.“ (Lukas Bärfuss in: SonntagsBlick vom 12.05.2019). Dies nur ein Beispiel, das illustrieren mag, wie sehr die Meinung des Schriftstellers von den alltäglichen Medienberichten abweicht und neue Türen für kreative Lösungen öffnet.
Originelle und kreative Beiträge. Zur gegenwärtigen Klimadebatte steuert Lukas Bärfuss originelle Diskussionsansätze bei. Die Klimabewegung bediene sich der christlichen Opfermystik, schreibt er. „Um die Welt zu retten, müssen wir Sünder büssen. (…) Wir sollen ein Opfer bringen, auf die Ferienreise und das Kalbsfilet verzichten – oder Ablass leisten, indem wir unseren CO2-Ausstoss kompensieren und höhere Steuern akzeptieren“, schreibt Bärfuss. „Diese Strategien fussen auf einer irrationalen Vorstellung, auf dem Zusammenhang von Sünde, Opfer, Strafe und Vergebung. Eine Lösung für die globale Herausforderung des Klimawandels halten sie nicht bereit.“ Lukas Bärfuss kommt zum Schluss, dass diese Logik wirkliche Lösungen verhindere. Technologische Entwicklung sei besser als Opferkult. (Lukas Bärfuss in: SonntagsBlick vom 15.04.2019). Das sind Beispiele für provokative, aber durchaus bedenkenswerte Denkansätze, die sich wohltuend von den täglichen medialen Mainstream-Meinungen abheben.
Literaten sind Spezialisten. Das Studium der Germanistik gilt als einer der anspruchsvollsten Studiengänge überhaupt. Medien foutieren sich heute oftmals um universitäre Titel. Dabei ist ein Doktortitel nicht einfach nur die Bestätigung für ein abgeschlossenes Studium, er ist Teil des Namens und er ist ein offizielles Attest dafür, dass der Träger berechtigt ist, wissenschaftlich und glaubwürdig zu forschen, zu arbeiten und zu publizieren. Dabei gehen Germanisten oft den Weg, den auch der promovierte Germanist Hansjörg Schneider gegangen ist. Mit seinen Theaterstücken ist er einer der meistaufgeführten Dramatiker und seine Krimis führen regelmässig die Schweizer Bestsellerliste an. Er war aber auch immer ein gefragter Mitarbeiter bei den Medien, vor allem bei den Basler Nachrichten. Er war sich nicht zu schade, als Lokalreporter bei der Basler Zeitung auf Tour zu gehen. Das bringt auch dem Germanisten einen Gewinn. Damals habe er gelernt, klar, möglichst knapp und leserfreundlich zu schreiben, resümiert er im Vorwort seines neusten Geschichtenbandes mit dem Titel „Im Café und auf der Strasse“. Und Hansjörg Schneider bekennt freimütig: „Eine Zeitung ist sinnlich (…) Ich schreibe noch heute gern für Zeitungen. Ich mache das mit gleicher Sorgfalt und Leidenschaft wie für ein Buch.“ So hat er sich nun entschlossen, Kolumnen, Reisereportagen, Essays und Geschichten, die er für verschiedene Zeitungen geschrieben hat, in einem Buch herauszugeben.
Der literarische Standpunkt. Schriftsteller, Literaturdozenten und Germanisten sorgen für den „literarischen Standpunkt“ in der Welt der Medien. Zeitungen, Radios und TV-Anstalten, die etwas auf sich halten, räumen den Literaten den gebührenden Platz ein. Die „NZZ am Sonntag“ tut dies vorbildlich und regelmässig. In der Ausgabe vom vergangenen Sonntag kam die Jungautorin Julia Weber ausgiebig zu Wort. Bekannt geworden ist sie durch ihren Roman „Immer ist alles schön“. Während die mediale Alltagsproduktion oftmals nicht viel mehr zustande bringt als die immer gleiche Behauptung, dass Sommerlektüre leicht und bekömmlich zu sein habe, nimmt sie mutig ihren eigenen literarischen Standpunkt ein: „Bitte nicht! Denn das Schöne am Lesen ist die Anstrengung, sich etwas weit Entferntes vorzustellen“, schreibt Julia Weber. Und sie empfiehlt den Sommermenschen mehr Einfühlung. Literatur sei dann gut, wenn die darin beschriebene Welt so weit wie möglich von uns entfernt zu sein scheine, aber so beschrieben sei, „dass Sie wissen, wie es ist, eine Frau zu sein, die in Neapel aufgewachsen ist, oder ein Kind zu sein, das zur Zeit des Krieges in Bosnien gelebt hat, oder Sie wissen plötzlich, wie es sich anfühlt, eine Frau zu sein in den 1930er Jahren in Berlin, ohne Arbeit und mit nichts als einem geklauten Pelz.“ (Julia Weber in: NZZ am Sonntag vom 28. Juli 2019). Eben, das ist er, der literarische Standpunkt. Abweichend vom Mainstream, originell und kreativ.
Über den eigenen Schatten springen. In der Welt der Medien regiert ein schonungsloser Verdrängungswettbewerb. Inmitten des ausufernden und schillernden Überangebots sind die Konsumenten gefordert, eine Auswahl treffen zu müssen. Originelle, kreative und bedenkenswerte „literarische Standpunkte“ können ein Produkt aus dem multimedialen Mainstream herausheben. Experten, wie sie bei der Sportberichterstattung schon seit langem gefragt und geschätzt sind, müssten auch in anderen Sparten mit grosser Selbstverständlichkeit Einzug halten. Dazu müssten die selbstgefällig-allmächtigen Medienhäuser über ihren eigenen Schatten springen. Die Literaturexperten sind gefordert.
Text und Foto: Kurt Schnidrig