Jubiläen haben zwei Seiten. Sie stürzen uns einerseits in Nostalgie, andererseits machen sie auch kreativ. So ist es auch mit den Jubiläen, die wir in diesem Sommer feiern dürfen. Der Sommer des Jahres 1969 – was war das für ein unglaublicher Sommer! Die ganze Welt war in Aufruhr, die Menschheit versuchte sich neu zu erfinden. Die Jugend der Welt stand auf gegen den Vietnam-Krieg. In Woodstock entstand der Mythos von ewigem Frieden und von ewiger Liebe. Die Verschmelzung von Hippie-Kultur und digitaler Industrie liess im kalifornischen Silicon Valley das digitale 21. Jahrhundert entstehen, verkörpert durch Hippie und Apple-Gründer Steve Jobs. Und die Amerikaner betraten erstmals den Mond.
Hippie-Kultur und digitale Industrie. Im Silicon Valley bei San Francisco ist die Parole der 68er-Generation verwirklicht worden: „Die Phantasie an die Macht“. Es hatte sich in den sechziger Jahren eine anarchistische Denkweise herausgebildet, die sich gut dazu eignete, sich eine noch nicht existierende Welt vorzustellen. Steve Jobs war nur einer unter vielen Hippies, die Marihuana rauchten, den Traum von einer anderen Welt träumten und dabei das digitale 21. Jahrhundert erfanden (nachzulesen in: Walter Isaacson: Steve Jobs. München 2011, S. 80). Im „Summer of 69“ entstanden auch die Grundlagen für die 50-Jahre-Jubiläen, die wir in diesem Sommer 2019 feiern dürfen: Das Woodstock-Jubiläum, die Mondlandung und die Geburt des 21. Jahrhunderts.
Nostalgie und Ernüchterung. Besonders beim Woodstock-Jubiläum treten heute oft Protagonisten auf den Plan, die so tun, als wären sie damals selber dabei gewesen. Das Festival wird hochstilisiert und mythifiziert. Dabei gerät jede Neuauflage notgedrungen zu einem ernüchternden Fiasko. Denn Woodstock ist passé und lenkt den Blick auf heutige Festivals. Da folgt die Ernüchterung auf dem Fusse. Die Branche hat sich fundamental verändert. Die Schweizer Open Airs könnten davon buchstäblich „ein Lied singen“. Horrende Gagen und endloser Kommerz haben die Grundidee der Musik-Festivals verteufelt. Ein Rückgang der Besucherzahlen ist die logische Konsequenz. Welch ausufernde Dimensionen die Festivals angenommen haben, legen die Lohnsummen für heutige Popsternchen an den Tag. Die Sängerin Cardi B soll für ihren 40-minütigen Auftritt am Open Air Frauenfeld stolze 900’000 (neunhunderttausend) Dollar kassiert haben (gemäss NZZ vom 28. Juli 2019). Da zieht das Jubiläum der Mondlandung bedeutend erfreulichere Konsequenzen nach sich. Es kurbelt die Forschung an und motiviert die Wissenschaftler zu spannenden Theorien.
Eine Biografie des Mondes. Im Gegensatz zu den vielen nostalgischen Woodstock-Besserwissern gehen die Astrophysiker bedeutend fundierter um mit ihrem Jubiläum, dem 50-Jahr-Jubiläum der legendären Apollo-11-Mission. Und im Gegensatz zu den selbsternannten Woodstock-Wiedergängern nehmen die Astrophysiker sich selbst nicht so wichtig, sondern nutzen das Jubiläum der Mondlandung, um die Forschung voranzutreiben. Der an der Uni Zürich lehrende Astrophysiker Ben Moore schreibt populärwissenschaftliche Bücher über den Mond. In seinem soeben erschienenen dritten Buch mit dem schlichten Titel „Mond“ berichtet er, wie ihn sein Vater im Winter 1972 als sechsjährigen Jungen mit nach draussen genommen hatte, um womöglich Apollo 17 am Himmel kreisen zu sehen, denn Apollo 17 gelang ja die bis anhin letzte Mondlandung. Das 50-Jahr-Jubiläum der legendären Apollo-11-Mission nimmt Ben Moore lediglich als verlegerischen Aufhänger für seine Publikation. Der 26. Juli 1969 war für Ben Moore bloss der Auftakt zur Erfüllung eines alten Traums der Menschheit, ins Weltall vorzudringen. Das Jubiläum lässt Ben Moore kreativ werden. Erstmals hat er sich nun an eine Biografie des Mondes gewagt.
Wie ist der Mond entstanden? Dieser Frage hat der Zürcher Astrophysiker Ben Moore sein ganzes berufliches Leben gewidmet. In seinem Buch präsentiert er eine phantastische Entstehungsgeschichte des Mondes. Er will herausgefunden haben, dass der Mond aus dem Zusammentreffen zweier Planeten entstanden sei. Die beiden Planeten hätten sich zuerst spiralförmig umeinander gedreht, hätten sich dann immer mehr einander angenähert und sich dann schliesslich zu einem ähnlichen Planeten wie die Erde vereinigt. Die beiden Planeten hätten sich zu einem Ei verformt, Ben Moore spricht von einem „Rugby-Ei“.
Wie ist der Mond entstanden? Hören Sie hier in meinem Beitrag auf rro mehr über die phantastische Entstehungstheorie des Mondes.
Dieser unglaubliche „Summer of 69“ lieferte vor 50 Jahren den Stoff für Träume, an deren Erfüllung und Realisierung wir bis heute arbeiten. Bedingung ist allerdings, dass wir uns von der nostalgischen Selbstgefälligkeit lossagen und unserer Kreativität immer wieder neu Raum geben. Denn mit Nostalgie und verklärender Romantik werden wir diesem unglaublichen „Summer of 69“ nicht gerecht. Ich war damals 17 Jahre alt, und mit 17 darf man ja auch entwicklungspsychologisch noch ausgiebig träumen. Dies wohl war das Privileg unserer Generation. Alle, die wir diese Zeit miterlebten, zehren ein Leben lang von diesem Sommer voller Hoffnungen und voller Träume. Viele der Hoffnungen sind mittlerweile entschwunden, die Träume jedoch sind geblieben.
Text und Foto: Kurt Schnidrig