Auf Gottfried Kellers Spuren

Wer Gottfried Keller verstehen will, der muss nach Heidelberg reisen.
(Foto: Kurt Schnidrig)

Zum Gottfried-Keller-Jubiläum nach Heidelberg reisen. Vor genau 200 Jahren, am 19. Juli 1819, ist der Dichter Gottfried Keller in Zürich geboren. Ganz genau genommen war er nicht nur einer der bekanntesten Schweizer Dichter, sondern auch ein grossartiger Politiker, der als Mitglied der Zürcher Regierung mitbeteiligt war an der staatlichen Neuordnung der Schweiz, die 1848 zur Gründung des Schweizerischen Bundesstaates in seiner gegenwärtigen Form führte. Unter dem Eindruck der politischen Lyrik des Vormärz entdeckte er sein Talent sowohl als Dichter als auch als Politiker. Als Mitglied der Zürcher Regierung kam er in den Genuss eines Stipendiums, das er in ein Studium an der Universität von Heidelberg investierte. Hier in Heidelberg entstanden seine unvergesslichen Romane und Novellen.

In Heidelberg erinnert eine Tafel an Gottfried Kellers Aufenthalt im Haus an der Brücke, die über den Neckar führt.
(Foto: Kurt Schnidrig)

Sein Herz in Heidelberg verloren. Auch Gottfried Keller war einer, der – gemäss dem bekannten Volkslied – sein Herz in Heidelberg verloren hatte. Er wohnte in einem Haus, das an der weltberühmten Brücke gelegen war, die über den Fluss Neckar führt. An seinem Wohnhaus prangt heute eine Tafel, auf der zu lesen steht: „Schöne Brücke hast mich oft getragen, wenn mein Herz erwartungsvoll geschlagen, und mit dir den Strom ich überschritt.“ Dort, im Haus am Neckarstrand, sind seine grossartigen Romane und Novellen entstanden, so Der grüne Heinrich und Die Leute von Seldwyla.

„Schöne Brücke, hast mich oft getragen, wenn mein Herz erwartungsvoll geschlagen…“ Gottfried Keller wohnte an der Brücke, die über den Neckar führt.
(Foto: Kurt Schnidrig)

Der grüne Heinrich. Gottfried Keller schrieb in Heidelberg einen autobiographischen Roman mit dem Titel Der grüne Heinrich. Neben Goethes Wilhelm Meister und Stifters Nachsommer gilt er als einer der bedeutendsten Bildungsromane der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts. Genau gleich wie der Protagonist Heinrich („grün“ wird er wegen der Farbe seiner Kleidung genannt) geriet in der frühen Jugend auch Gottfried Keller ein Lausbubenstreich zum Verhängnis. Aufgrund dieses Vergehens wurde auch Gottfried Keller von der Schule verwiesen und musste nun seinen Berufswunsch, Landschaftsmaler zu werden, mit eigenen Mitteln verwirklichen. In der weiteren Entwicklung sind jedoch Unterschiede festzustellen zwischen dem grünen Heinrich im Roman und dem Dichter Gottfried Keller. Während sich Keller mangels Talent vom Beruf des Malers abwandte, verfolgt der grüne Heinrich diesen seinen Berufswunsch mit grosser Konsequenz. Dabei vermag er nicht zu unterscheiden zwischen der Realität und seiner eigenen poetisch-romantischen Weltsicht, und dies hat schwerwiegende Konsequenzen: Er verscherzt sich die Liebe von zwei Frauen, er treibt seine Mutter in existenzielle Not und er scheitert schliesslich an seinen zu hoch gesteckten Idealen. Sehr viel später hat Gottfried Keller diesen harten Schluss in seinem „Grünen Heinrich“ gemildert. In der zweiten Fassung darf Heinrich seiner sterbenden Mutter noch einmal die Hand reichen, und statt als enttäuschter Künstler das Zeitliche zu segnen, lässt Keller seinen Protagonisten Heinrich mit seiner Jugendfreundin schlussendlich ein bescheidenes Beamtenleben führen.

An der Universität von Heidelberg studierte Gottfried Keller. (Foto: Kurt Schnidrig)

Sieben Studienjahre in Deutschland. In Heidelberg widmete sich Gottfried Keller dem Studium der Geschichte und der Staatswissenschaften. Dort liess er sich auch mobilisieren von der politischen und militanten Lyrik des Vormärz. Während des Studiums in Heidelberg wandelte sich Keller zum politischen Schriftsteller. Nach der Veröffentlichung der Erzählung Das Fähnlein der sieben Aufrechten wurde er ein heisser Kandidat auch für die Zürcher Politik. In dieser Erzählung drückte Keller seine Zufriedenheit aus „mit den vaterländischen Zuständen“ in seinem Heimatland.

Auf dem alten Schloss in Heidelberg. Hier liess sich Gottfried Keller vom Patriotismus der deutschen Fürstengilde begeistern. (Foto: Kurt Schnidrig)

Die Heidelberger Romantik im Herzen. Auch nach seiner Rückkehr nach Zürich tauchen in Gottfried Kellers Werken immer wieder romantische Reminiszenzen aus seiner wunderschönen Heidelberger Zeit auf. Im Jahr 1861 erfolgte die Berufung Gottfried Kellers zum Ersten Staatsschreiber des Kantons Zürich. Dieses politische Amt nahm in zehn Jahre lang so stark in Anspruch, dass in dieser Zeit kaum nennenswerte dichterische Werke entstanden. Erst 1876 legte Keller sein politisches Amt nieder um freier Schriftsteller zu werden. In seinem Alterswerk taucht auch immer wieder seine Studentenzeit in Heidelberg auf.

Studentenverbindungen mit ihren Stammkneipen prägen die Heidelberger Altstadt.
(Foto: Kurt Schnidrig)

Gottfried Kellers Alterswerk. Als freier Schriftsteller gelangen Gottfried Keller noch einmal vielbeachtete Werke, so Die Leute von Seldwyla und der sozialkritische Roman Martin Salander.  Zu seinem Alterswerk zählen auch noch die Sieben Legenden und weitere Erzählwerke, so die Züricher Novellen und Das Sinngedicht. Gottfried Keller durfte sich im Alter als erfolgreicher Schriftsteller feiern lassen. Dazu trugen vor allem die Novellen bei: Romeo und Julia auf dem Dorfe sowie Kleider machen Leute sind grossartige Meisterwerke der deutschsprachigen Erzählkunst. Sie sind bis heute vielerorts auch Bestandteile der obligatorischen Schullektüre geblieben.

Auf dem sogenannten Philosophenweg mit Blick auf Heidelberg, die Stadt der Romantik.

Auf dem Philosophenweg hoch über Heidelberg erfasst mich unwillkürlich die romantische Stimmung, der wohl damals auch Gottfried Keller erlegen ist. Auf einer Tafel ist der Text verewigt, der zu einem der bekanntesten deutschen Volkslieder vertont wurde:

Ich hab‘ mein Herz in Heidelberg verloren, / In einer lauen Sommernacht. / Ich war verliebt bis über beide Ohren / Und wie ein Röslein hat ihr Mund gelacht. / Und als wir Abschied nahmen vor den Toren / Beim letzten Kuss, da hab‘ ich’s klar erkannt: / Dass ich mein Herz in Heidelberg verloren. / Mein Herz, es schlägt am Neckarstrand.

Text und Fotos: Kurt Schnidrig