Sie wird in Kürze ihre Wohnung in Leuk beziehen, die ihr als Spycher Literaturpreisträgerin für ein paar Wochen im Jahr zusteht. Ihr Roman „Ein Beitrag zur Geschichte der Freude“ ist mittlerweile auch auf vielen Literatur-Events in Deutschland und in der Schweiz angesagt. Radka Denemarkovà, 1968 geboren, ist Schriftstellerin, Dramatikerin, Drehbuchautorin, Essayistin und Übersetzerin deutscher Literatur. Lange vor der #MeToo-Bewegung hat sich die tschechische Autorin mit sexistischer Gewalt literarisch auseinandergesetzt.
Politisch, provokant und poetisch zugleich ist ihr Roman mit dem wohl auch etwas zynischen Titel „Ein Beitrag zur Geschichte der Freude“, geht es doch um sexuelle Gewalt, die sich über Jahrhunderte hinweg in das kollektive Gedächtnis von Frauen eingeschrieben hat. Wie kann aber Denemarkovàs Erzählung von Demütigung und Ausbeutung ein „Beitrag zur Geschichte der Freude“ sein? Im Roman sind drei ältere Damen als weibliche Nazi-Jägerinnen unterwegs. In einer Villa in Prag haben sie ein riesiges unterirdisches Archiv angelegt, in dem sie Hunderte Fälle von Gewalt gegen Frauen dokumentieren. Doch nicht genug damit. Die drei schlüpfen in die Rolle von Rachegöttinnen, gleich der Erinnyen aus der griechischen Mythologie, die aus dem Blut entstanden sind, das aus dem abgetrennten Glied des Uranos tropfte. Denemarkovà versucht, erlittene sexuelle Gewalt mit Hilfe von sprachlichen Mitteln mitzuteilen. Dies gelingt ihr zumindest teilweise, indem sie Metaphern und mythologische Überhöhungen beizieht. Beispielsweise bemüht sie Symbole und Chiffren aus der Vogelwelt. Eine Verhaltensstudie von Schwalben bietet jeweils dann einen Ersatz, wenn die menschliche Sprache zur Schilderung des Grauenhaften nicht mehr ausreicht. Dies gelingt nicht immer. Manchmal versagt die Sprache und es bleibt nur noch die angedeutete Geste:
„Die Schwalben fliegen und zwitschern. Sie erzählen sich Witze über Männer und Frauen. Sex ist Freude. Die Witze wiederholen sich über die Jahrhunderte, die Schwalben sammeln Beiträge für die Geschichte der Freude. Dabei sind sie auf ein Schlachtfeld gestossen, das keine Friedenszeiten kennt.“
Schwalben als metaphorischer Ersatz. Als Leser begegnet man drei älteren Frauen, sie heissen Erika, Diana und Birgit, man sieht sie auch immer wieder mal als Schwalben durch die Geschichte flattern. Sie versuchen Gerechtigkeit herzustellen, und sie schrecken auch nicht zurück vor drastischen Massnahmen. Scheut sich die Autorin davor, ihre weiblichen Protagonistinnen im Roman als radikale Feministinnen auftreten zu lassen? So literarisch kunstvoll die Schwalben-Metapher auch ist, sie vernebelt den Blick auf die Missstände dieser Welt, die von menschlichen Abgründen zeugen. Einzig Birgit setzt sich als Person (und nicht als Schwalbe) dafür ein, dass Vergewaltigungen zu Kriegsverbrechen erklärt werden, was ihr aber misslingt. Sie versagt kläglich:
„Birgit spricht nie über weibliche Körper oder über Vergewaltigung. Vor allem mit Frauenzeitschriften nicht. Die sind die ergebensten Diener der Sklavenhalter und besonders geschickt darin, ihre Opfer zu erniedrigen.“
Die Rache der Frauen. Die Autorin ist eine Kämpferin mit Worten, und das ehrt sie. Ihr Roman reicht jedoch weit über das hinaus, was gemeinhin als feministischer Roman in die Literaturgeschichte eingegangen ist. Drei Frauen mutieren zu rachesüchtigen Todesengeln, die „Schwalben“ können sich auf ein cleveres und durchdachtes System stützen. Doch kann (soll) man Gewalt mit Gegenwalt bekämpfen? Kann (soll) man sich zum Rache-Engel aufspielen, wenn man selber Ungerechtigkeit und Gewalt erlitten hat? Unter einer „Schwalbe“ versteht man im Fussball den Versuch eines Spielers, ein Foul vorzutäuschen. Oftmals gerät „die Schwalbe“ zum Eigentor, dann nämlich, wenn der Spielleiter die Absicht des Spielers durchschaut. Ist nicht auch die Rache ein falsches Signal, das oftmals noch zusätzlich zu einer Eskalation von Gewalt beiträgt?
Verschlüsselung oder Direktheit? Zweifellos gewinnt ein Roman an poetischer Kraft, wenn er sich literarischer Kunstmittel bedient. Die Poetik und die Symbolik des Erzählten können jedoch der ursprünglichen Intention der Autorin auch abträglich sein, denn sie verschlüsseln und vernebeln das kämpferische Moment, im vorliegenden Fall ist es der Kampf für eine bessere gesellschaftliche Stellung der Frau.
Text und Foto: Kurt Schnidrig