Der Zürcher Schriftsteller Thomas Meyer bedient mit dem sprichwörtlich jüdischen Witz ein Bedürfnis seiner vielen Leserinnen und Leser. Er erzählt mit viel Ironie und Humor seine Geschichten rund um den orthodoxen jüdischen Jüngling namens Motti. Mit der Verfilmung seines Debütromans „Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse“ hatte er es bis an die Oscar-Verleihung nach Hollywood geschafft. In seinem Erfolgsroman beschreibt der Autor die Abenteuer des Juden Motti, der sich in Zürich in eine hübsche Nicht-Jüdin verliebt. Und jetzt also erscheint der neue Roman von Thomas Meyer, auch wieder mit dem gleichen Protagonisten, auch wieder mit dem jüdischen Jüngling Motti als Held. Die nichtjüdische Geliebte, die Schickse, ist jetzt allerdings vergessen, und so flaniert Motti in der Stadt Zürich umher, und er studiert an der Frage herum, was er nun mit seinem unorthodoxen Leben anfangen könnte.
Ein Überraschungs-Trip nach Jerusalem. In den Strassen Zürichs wird Motti von einem Kollegen aufgegabelt. Dieser verspricht dem gelangweilten Motti einen erlebnisreichen Trip nach Jerusalem. In Israel findet Motti vorerst Arbeit bei der Orangen-Ernte in einem Kibbuz. Doch schon bald steckt Motti mittendrin in einem spannenden Krimi-Abenteuer. Plötzlich landet Motti im Gefängnis und man erwartet von ihm, dass er sich für eine jüdische Weltverschwörung stark machen solle.
Verlockungen einer hübschen Spionin. Noch in Israel erhält Motti einen seltsamen Auftrag. Es wird ihm aufgetragen, zurück nach Deutschland zu reisen, genau genommen in die Bayerischen Berge. Da in Bayern sollen sich nämlich seit Kriegszeiten ein paar unverbesserliche Nazis versteckt halten, und es scheint, dass diese nichts weniger als eine Rückkehr an die Macht planen. Gewissermassen als Vorbereitung auf die bevorstehende Machtergreifung haben sie bereits eigens Smartphones und Social Media erfunden. Diese Erfindungen sollen die Menschheit kriegerisch stimmen und ihren Charakter verderben. Man merke: Spätestens jetzt spielt die Story in die Gegenwart hinein. In einem ironisch-sarkastischen Erzählton berichtet der Erzähler von einer hübschen Nazi-Spionin, die angesetzt werden soll auf die geplante jüdische Weltverschwörung.
Über jüdische Witze lachen – darf man das? Es ist wohl angezeigt, dass die Leser*innen Thomas Meyers Geschichten, die viel jüdischen Witz enthalten, mit einem Augenzwinkern lesen. In der Weltliteratur nimmt der jüdische Witz eine Sonderstellung ein. Immer weist ein jüdischer Witz auch eine Doppelbödigkeit auf. Das Humoristische ist dabei also lediglich vordergründig. Immer enthält der jüdische Witz auch soziale, politische oder religiöse Kritik. Und immer wohnt dem jüdischen Witz viel versteckte Weisheit inne.
Der Witz als Waffe. Jahrhundertelang war der jüdische Witz die einzige Waffe eines ansonsten wehrlosen Volkes, das, vertrieben und rund um den Erdball in der Diaspora lebend, sein seelisches und geistiges Überleben im Wesentlichen nur mit Hilfe des Witzes sicherstellen konnte. Der jüdische Witz beinhaltet daher immer auch ein „trotzdem“ und ein „trotz allem“. Der jüdische Witz ist Ausdruck des Mutes, trotz allem weiterzuleben.
Hören Sie hier meine Sendung „Literaturwelle“ zu Thomas Meyers neuem Roman „Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin“.
Text und Foto: Kurt Schnidrig