Geschichten aus dem Home-Office, Folge 1: „Solidarität“

Heute starte ich mit meinen „Geschichten aus dem Home-Office“. Viele wünschen sich in diesen virenverseuchten Zeiten vor allem nur eines: „abheben – wegfliegen“. So heisst passenderweise auch mein Buch (Kurt Schnidrig: Rotten Verlags AG Visp, 2016)

Solidarität ist in diesen virenverseuchten Zeiten oberstes Gebot. Wir helfen einander, wir schauen zueinander, wir betreuen einander. Solidarität ist jedoch keine Selbstverständlichkeit. Hamsterkäufe, Streit um Pflegeprodukte und das vorsorgliche Horten von Medikamenten sind nur einige Beispiele, die nahelegen, dass insbesondere Solidarität und Sozialkompetenz für Krisenzeiten zuvor eingeübt werden sollten. Davon handelt die nachfolgende (gekürzte) Geschichte aus meinem Buch „abheben – wegfliegen“.

Wie ein Teamseminar die Sozialkompetenz verbessert. Meine Teamseminare, die ich als Dozent für Kommunikation um die Jahrtausendwende an der Hochschule Wallis durchführte, waren jedes Mal ein Highlight. Wir konnten buchstäblich abheben und wegfliegen. Ich kann mich an einen „Flying Fox Event“ im Baltschiedertal erinnern, bei dem die Studierenden an eine Rolle geklammert Schluchten überwanden. Danach war für sie – nach ihren eigenen Worten – das Studium nur noch ein kleines Hindernis, das mit Leichtigkeit gemeistert werden konnte. Psychologische Barrieren in den Köpfen meiner Student*innen waren gefallen. Viele von ihnen blieben nach der gemeinsam durchstandenen Mutprobe ein Leben lang miteinander freundschaftlich und hilfsbereit verbunden.

Beim „Flying Fox“ gilt es, in Teamarbeit eine Schlucht zu überwinden. Dies geht nicht ohne Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfeleistung. (Foto: Schnidrig).

Jeder vertraut dem andern. Hoch oben auf dem Grat des Wiwannihorns. Der Grat ist gerade mal 50 Zentimeter breit. Links und rechts geht es in freiem Fall runter, mehrere hundert Meter. Meine Achterseilschaft besteht aus Studierenden der Wirtschaftsinformatik. Kaum jemand von ihnen war jemals auf dieser Höhe, die meisten sind gar zum ersten Mal am Seil. Die Regel, an die sich alle halten müssen, ist lebenswichtig: Wer einen Fehltritt macht, der springt rechts runter, so schafft er ein Gegengewicht zur übrigen Seilschaft. Eine gefühlte Ewigkeit zittern wir uns über den Grat. Jede und jeder vertraut sich gegenseitig. Jede und jeder übernimmt Verantwortung. Alle sind wir Teil eines Teams, das nur funktioniert, wenn alle Verantwortung übernehmen.

Sich an physische und psychische Grenzen herantasten. Szenenwechsel. Die vereiste Piste von Grimentz in sternenklarer Winternacht. Eine überaus steile und vereiste Piste in eiskalter Winternacht hochzuklettern erfordert, sich an die psychischen und physischen Grenzen heranzutasten. Dadurch lässt sich der Teamgeist fördern, und es können die persönlichen „Soft Skills“ trainiert werden. Das Teamseminar gilt nur dann als „geglückt“, wenn es gelingt, Erkenntnisse aus diesem gemeinsamen Erlebnis für den beruflichen Alltag fruchtbar zu machen. Es geht folglich um den Transfer von fordernden Situationen auf den Alltag. Was zum Beispiel haben die Studierenden der Hochschule bei derartigen Teamseminaren gelernt? Es sind Lehrsätze wie diese: Nicht immer ist es von Vorteil, so schnell wie möglich ans Ziel zu gelangen. Der schnellste Weg ist nicht immer der beste Weg. Oft birgt der direkte Weg grosse Gefahren. Besser ist es, auf den „Team-Spirit“ zu bauen.

„You can do it, if you really want“, Song von Jimmy Cliff. (Foto: Kurt Schnidrig)

Du kannst alles erreichen, wenn du es wirklich willst. Eine Studentin formulierte nach überstandenem Abenteuer folgendermassen: „Der Berg ist steil. Und es wird immer schlimmer. Manche von uns bleiben stehen und beginnen zu überlegen. Wie weiter? Andere kämpfen sich nach oben, sie halten durch, sie vertrauen auf sich und auf die anderen. Doch alle haben wir ein Ziel: Wir wollen und wir müssen nach oben. Irgendwie müssen wir es gemeinsam schaffen, nach oben zu kommen. Ein Rückzug ist nicht mehr möglich. Stille herrscht. Nicht aufgeben! Trotz Müdigkeit und Kälte immer wieder aufstehen, sich ein weiteres Mal nach oben kämpfen, zu den anderen aufschliessen. Endlich kommen wir gemeinsam an. Wir haben es geschafft. Wir haben es gemeinsam geschafft. Man kann es immer schaffen, aber ein eiserner Wille ist dazu nötig.“

Mit Methodik und Team-Spirit durch Krisenzeiten. Grosse Konzerne in den USA bestätigen die Methodik der Teamseminare. Sie geben ein Vermögen aus, damit ihre Mitarbeiter*innen lernen, einander zu vertrauen und besser miteinander zu kommunizieren. Das BMW-Leistungszentrum im US-Staat Carolina beispielsweise berechnet für einen Trainingstag 8000 Dollar pro Person. Die Kurse sind ein halbes Jahr im Voraus ausgebucht. Der Konzern fliegt seinen Führungsnachwuchs in den Grand Canyon. Den Weg heraus muss das Team, ausgestattet mit Vorräten für zwei Tage, aus eigener Kraft finden. Das Ziel ist stets dasselbe: Die Mitarbeiter*innen sollen angeleitet werden, das Prinzip der Teamarbeit zu verstehen.

Im Teamseminar ein Team geformt, das zusammen durch dick und dünn geht. (Foto: Kurt Schnidrig)

Literarisch motivierte Teamseminare. Die spannende Methodik hat Zukunft, zum Beispiel auch in Kombination mit literarischen Vorgaben. Die Unternehmensberatung Executive Edge bietet unter anderem ein Teamseminar an mit Science-Fiction-Ambiente. Die Team-Mitglieder müssen sich gemeinsam durch militärisches Sperrgebiet schlagen, High-Tech-Sensoren überlisten und Kampfhubschraubern entkommen, um einen Ausserirdischen zu retten, der in einem Bunker gefangen gehalten wird. Das Teamseminar ist aufgebaut nach dem US-amerikanischen Science-Fiction-Film aus dem Jahr 1982. Regisseur Steven Spielberg kombinierte darin Elemente des Science-Fiction- und Märchen-Genres. Das Teamseminar, das auf dem Film rund um den Ausserirdischen E.T. basiert, gilt als erfolgreich, sobald E.T. in einer Rakete Marke Eigenbau auf den Heimweg zu den Sternen geschickt wird.

Text und Fotos: Kurt Schnidrig

(Aus: Kurt Schnidrig: abheben – wegfliegen. Wo Träume Flügel haben. Rotten Verlags AG, Visp 2016. S. 128-130.)