Fachleute bezeichnen das Thema Mobbing als eines der kaum lösbaren aktuellen Jugendprobleme. Die Literatur hat in diesem Frühjahr reagiert. Aus der Fülle von Mobbing-Geschichten seien an dieser Stelle besonders zwei Romane hervorgehoben. Die Ausgangslage bei fast allen Romanen zu diesem Thema ist die gleiche: Passive Lehrpersonen und überforderte Eltern. Sie alle kommen in den Geschichten auffallend schlecht weg.
„Ich bin Vincent und habe keine Angst“. Ein besonders eindrücklicher Roman zum kindlichen Mobbing legt der Gerstenberg-Verlag vor. Vincent spricht mit Phantasietieren, und er kennt alle Tricks um in einer Wildnis zu überleben. Doch alle seine Survival-Kenntnisse helfen ihm nicht weiter bei der Bewältigung der Probleme, die ihm seine Mitschüler bereiten. Seine Klassenkameraden quälen und foppen ihn. Zum Glück tritt eine Klassenkameradin auf den Plan, eine junge Power-Frau, die sich für ihn stark macht. Sie tut dies nicht zuletzt auch deshalb, weil sie sich früher selbst einmal in der Rolle einer Gemobbten befand. Sie hilft nun Vincent, selbstbewusster zu werden. Der Roman „Ich bin Vincent und habe keine Angst“ eignet sich bestens als Diskussionsgrundlage in einer Schulklasse.
„Lass niemanden dich zum Schweigen bringen. Lass niemals zu, zum Opfer gemacht zu werden. Akzeptiere niemals die Definitionen, die andere von deinem Leben haben; definiere dich selbst! Never be bullied into silence.“
Harvey Fierstein, *1954 Brooklyn, New York City. Schauspieler, Autor und Sänger.
„Das Jahr in der Box“. Wo Menschen in Gruppen zusammen leben und arbeiten, geht es immer auch um Gruppendynamik. Dazugehören ist alles. Je nach Selbstsicherheit entscheiden sich die einzelnen Mitglieder in der Gruppe: Will ich mitlaufen? Will ich einfach ignorieren, was mir nicht passt? Will ich für andere einstehen und anderen helfen? Davon abhängig ist auch immer die Entscheidung: Will ich unbedingt zu einer Gruppe dazugehören, oder bin ich bereit, ein Dasein als Aussenseiter zu führen? Im schlimmsten Fall zerreisst dieses Dilemma einen jungen Menschen. Dies geschieht beispielsweise im aktuellen Roman „Das Jahr in der Box“ von Michael Sieben aus dem Carlsen Verlag. Diese Mobbing-Geschichte endet tragisch. Als Leser weiss man es bereits von Anfang an: Jemand wird sterben. Um welche Person es sich dabei handelt, das allerdings erfährt man erst ganz zum Schluss. Der Roman eignet sich dazu, einen Tod zu verarbeiten. Damit dies gelingt, müssen Schuldgefühle abgebaut werden. Nicht zuletzt geht es aber auch um Freundschaft, die das Schlimmste hätte verhindern können.
Mit Teamseminaren die Sozialkompetenz stärken. Meine Teamseminare, die ich als Dozent für Kommunikation um die Jahrtausendwende an der Hochschule Wallis durchführte, waren immer auch gute Übungen, um Probleme wie Mobbing erst gar nicht aufkommen zu lassen. Psychologische Barrieren in den Köpfen meiner Student*innen fielen. Viele von ihnen blieben nach dem gemeinsam erlebten Team-Event ein Leben lang miteinander freundschaftlich und hilfsbereit verbunden.
„You can do it, if you really want.“
Song von Jimmy Cliff
Jeder vertraut dem andern. Zum Beispiel im Teamseminar hoch oben auf dem Grat des Wiwannihorns. Der Grat ist gerade mal 50 Zentimeter breit. Links und rechts geht es im freien Fall runter, mehrere hundert Meter. Meine Achterseilschaft besteht aus Studierenden der Wirtschaftsinformatik. Kaum jemand von ihnen war jemals auf dieser Höhe, die meisten sind gar zum ersten Mal am Seil. Die Regel, an die sich alle halten müssen, ist lebenswichtig: Wenn jemand einen Fehltritt macht, springt der erste in der Gruppe rechts runter, so schafft er ein Gegengewicht zur übrigen Seilschaft. Eine gefühlte Ewigkeit zittern wir uns über den Grat. Jede und jeder vertraut sich gegenseitig. Jede und jeder übernimmt Verantwortung. Alle sind wir Teil eines Teams, das nur funktioniert, wenn alle Verantwortung übernehmen.
Mit Team-Spirit gegen Mobbing. Grosse Konzerne in den USA bestätigen die Methodik der Teamseminare. Sie geben ein Vermögen aus, damit ihre Mitarbeiter*innen lernen, einander zu vertrauen und besser miteinander zu kommunizieren. Das BMW-Leistungszentrum im US-Staat Carolina beispielsweise berechnet für einen Trainingstag 8000 Dollar pro Person. Die Kurse sind ein halbes Jahr im Voraus ausgebucht. Der Konzern fliegt seinen Führungsnachwuchs in den Grand Canyon. Den Weg heraus muss das Team, ausgestattet mit Vorräten für zwei Tage, aus eigener Kraft finden. Das Ziel ist stets dasselbe: Die Mitarbeiter*innen sollen angeleitet werden, das Prinzip der Teamarbeit zu verstehen.
Text, Foto und Radiosendung: Kurt Schnidrig