Vor 50 Jahren gewährten die Schweizer Männer ihren Frauen das Wahl- und Stimmrecht. Zur heutigen Frauenpower in vielen Bereichen unseres Lebens hat auch der Einsatz von Einzelkämpferinnen beigetragen. Nur ein halbes Jahr vor der ersten nationalen Abstimmung über das Frauenstimmrecht publizierte Iris von Roten eine Kampfansage in Buchform mit dem Titel „Frauen im Laufgitter – Offene Worte zur Stellung der Frau“. Das Buch erschien im Hallwag-Verlag Bern in einer Auflage von 3000 Exemplaren. Zwar war das Buch bereits nach elf Wochen ausverkauft. Die Reaktionen waren jedoch radikal ablehnend. Selbst die damalige Frauenbewegung befürchtete, dass „Frauen im Laufgitter“ den Ausgang der Abstimmung vom Februar 1959 negativ beeinflussen könnte. In typisch schweizerischer Manier setzten selbst Feministinnen innerhalb der Frauenbewegung eher auf Konsensfindung, Taktgefühl und Kompromissbereitschaft. Es kam, wie es kommen musste: Anlässlich der ersten nationalen Abstimmung über das Frauenstimmrecht verweigerten die Schweizer Männer den Frauen mit einer Zweidrittelsmehrheit das Stimmrecht.
„Die Antworten auf die Fragen des weiblichen Lebens geben zum überwiegenden Teil Männer, wobei sie einen Ton anschlagen, als hätten sie Geisshirten Wunderkuren anzupreisen oder aber Esel auf den rechten Pfad zu zerren.“
Aus: „Frauen im Laufgitter“ von Iris von Roten
Das Buch war eine offene Kampfansage. Ein Pamphlet, eine Streitschrift, in Inhalt und Form. Iris von Roten war der Meinung, allzu lange hätten Frauen in der Schweiz gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Diese Meinung war zwar für nicht wenige Schweizer*innen damals nachvollziehbar. Was dann aber die Autorin in fünf Kapiteln unverblümt und in aggressivem Ton von sich gab, löste vernichtende Kritiken aus. Nicht nur schossen ihre Forderungen für die damalige Zeit weit übers Ziel hinaus. Auch als Autorin, als Juristin und als Frauenrechtlerin gab sie sich der Lächerlichkeit preis.
„Lebenslängliche Kocherei, unvermeidliches Putzen und Pützeln und die Tretmühle ständigen Reparierens bilden die Zwangsarbeit, die im sogenannten Beruf der Frau und Mutter geleistet werden muss. Wie jede Zwangsarbeit ist sie nicht bezahlt.“
Aus: „Frauen im Laufgitter“ von Iris von Roten
Der „Bund Schweizerischer Frauenvereine (BSF)“, der insbesondere auch progressive Frauen in seinen Reihen versammelte, wandte sich gegen die streitsüchtige Iris von Roten und gegen ihr „Skandal-Buch“. Der Frauenbund fuhr eher einen Kompromisskurs mit den Männern. Die engagierten und progressiven Frauen vermieden die harte Konfrontation mit den Männern. Sie wollten die Männer nicht gegen die „Sache der Frau“ aufbringen. Iris von Rotens Forderungen und Attacken gingen ihnen zu weit. Selbst für linke Kreise galt sie als „frustrierte Juristin aus besseren Kreisen“, für rechtsgerichtete Kreise war sie eine „Verräterin an der Sache der Frau“. Die heutige Literaturkritik kommt grösstenteils zum Schluss: Iris von Roten ist in ihrer Genialität und Hellsichtigkeit schlicht zu früh gewesen. (Vgl. etwa: Yvonne D. Köchli: „Eine Frau kommt zu früh“. ABC-Verlag. Zürich 1992. 205 Seiten).
Als „Männerdompteuse und Domina“ wurde Iris von Roten an der Basler Fasnacht im Februar 1959 der Lächerlichkeit preisgegeben. In schwarzen Stiefeln bis zum Gesäss, in Lack und Leder gekleidet, grell geschminkt und bewaffnet mit einer Peitsche – derart karikiert machten rund ein Viertel aller Fastnachts-Cliquen die Juristin und Frauenrechtlerin zum Thema. Ausgangspunkt dafür waren Szenen in ihrem Buch, in denen sie sexuell-erotische Fragen behandelte und traditionell weibliche Werte erörterte.
„Für die private Atmosphäre des Familienlebens ist es nicht nötig, dass die „Frau und Mutter“ als des Weibes natürliches Los stundenlang mit Geschirr klappert und Staub wedelt.“
Aus: „Frauen im Laufgitter“ von Iris von Roten.
Iris von Roten zerbrach an der harschen Kritik. Geächtet selbst von Frauenorganisationen, zog sie sich zurück. Auf langen Reisen suchte sie Ablenkung und Erholung von gesundheitlichen Problemen. Als sie über eine Reise in die Türkei ein Buch herausgeben wollte, fand sich dafür kein Verlag mehr, der ihr Buch veröffentlichen wollte. Völlig unverstanden und verkannt gab sie sich der Todessehnsucht hin. Als sie schliesslich weder schreiben noch malen mehr konnte, beschloss sie, minuziös geplant Suizid zu begehen. Am 11. September 1990 beendete sie ihr Leben.
„Wie ein Gast wissen muss, wann es Zeit ist zu gehen, so sollte man sich auch rechtzeitig vom Tisch des Lebens erheben.“
Iris von Roten, in einem Interview kurz vor ihrem Tod.
Feministin oder „femme fatale“? Sowohl die Ideen als auch der damalige Lebensstil von Iris von Roten provozieren auch heute noch: Statt ihren Pflichten als Mutter nachzukommen, verreiste sie unmittelbar nach der Geburt ihrer Tochter. Es heisst, ihr Hobby, das Schreiben, sei ihr wichtiger gewesen. Und dass die von Rotens eine offene Beziehung lebten und sich gegenseitig von ihren erotischen Abenteuern berichteten, das passt schon wieder fast in unsere heutige Zeit. Iris von Roten wird heute als eine Ikone der Frauenbewegung verehrt. Dies zu Unrecht, wie ich finde. Denn sie selbst hätte eine derartige Zuordnung zeitlebens abgelehnt. Wer ihre Biographie studiert, dem erscheint Iris von Roten eher als eine „femme fatale“ denn als Feministin. Sie verkörperte einen Frauentypus, der durch Attraktivität, durch eine grosse Brise Berechenbarkeit und durch erotische Anziehungskraft Männer in seinen Bann zieht. (Vgl. dazu: Kurt Schnidrig: „Ein Leuchtturm in der Finsternis“, Seiten 285-288).
Der Mythos der „femme fatale“ zieht sich durch die Kunst und Literatur bereits im beginnenden 19. Jahrhundert. Die „femme fatale“ ist literarisch präsent, erstmals bei Théophile Gautier und seiner „Carmen“, mit der er den Prototyp der „femme fatale“ schuf. Ohne diese Vorlage hätte sicherlich auch Wedekind nicht seine Inspiration für Lulu bekommen. Eine „femme fatale“ fasziniert durch ihre Erotik, Intelligenz und durchdachte Manipulation. Heute würde man sie als „Vamp“ bezeichnen. Iris von Roten als „femme fatale“ zu typisieren, mag gewagt erscheinen. Von der Literaturbetrachtung her scheint mir diese Sichtweise jedoch zutreffender zu sein. Zur Vorbild-Feministin taugt Iris von Roten mit Bestimmtheit nicht, auch wenn Historienschreiber und Filmemacher sie gerne als solche sehen. (Aus: Kurt Schnidrig: „Ein Leuchtturm in der Finsternis“, Seiten 285-288).
Text und Radiosendung: Kurt Schnidrig