Im Buch „Gruss aus der Küche“ versuchen 31 schreibende Frauen eine gedankliche Tiefenbohrung. Sie fragen sich in ihren Texten: Was hat das vor 50 Jahren eingeführte Frauenstimm- und -wahlrecht gebracht? Unter ihnen auch die Oberwalliserin Elisabeth Joris. (Rita Jost und Heidi Kronenberg: Gruss aus der Küche. Texte zum Frauenstimmrecht. Rotpunktverlag 2020, 219 Seiten). Die Herausgeberinnen haben Autorinnen, Kolumnistinnen und Historikerinnen gebeten, ihren Alltag in Bezug auf das Frauenstimmrecht und das Frausein heute zu erforschen. Was sie erleben, was sie ärgert, freut, herausfordert und anspornt – das sollten sie in ihren Texten formulieren. Die Texte in dieser Anthologie sind teils humorvoll, teils kämpferisch, in jedem Fall aber sehr persönlich. Als eine der Autorinnen hat Elisabeth Joris einen Text mit dem Titel „List, Ironie und Kampfeslust“ beigesteuert.
Elisabeth Joris, geboren 1946, wird im Buch als „Enkelkinder betreuende Grossmutter und freischaffende Historikerin“ aufgeführt. Ihr Fachgebiet und Forschungsschwerpunkt ist die Geschlechtergeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Sie publizierte verschiedentlich zu geschlechtsspezifischen Aspekten der politischen Partizipation, der Migration und der Arbeit. In der Anthologie „Gruss aus der Küche“ befasst sie sich mit der „Kompromisslosigkeit unverheirateter Frauenstimmrechtlerinnen“.
Ein Verdienst von unverheirateten Frauen. Dass nicht wenige Frauen, die sich von 1912 bis 1971 für das Frauenstimmrecht einsetzten, unverheiratet waren, sei kein Zufall gewesen, schreibt Elisabeth Joris. Die unverheirateten Frauen hätten viel Energie, Kampfeslust und Mut gezeigt, bis dann endlich im Jahr 1971 das Stimm- und Wahlrecht für Frauen gekommen sei. Allerdings seien auch unverheiratete Frauen je nach kantonaler Regelung unter männlicher Vormundschaft gestanden. Diese unwürdige Situation habe allerdings für verheiratete Frauen für mehr als hundert Jahre weiter bestanden, bis zum Inkrafttreten des neuen Eherechts am 1. Januar 1988.
Spott und Verachtung getrotzt hätten insbesondere die ledigen Frauen. Ledige Frauen hätten damals unter einer negativen Bewertung gelitten, schreibt Joris. Damals habe die Vorstellung geherrscht, ledige Frauen seien im Leben gescheitert und hätten persönlich versagt. Die ledige, ungebundene Frau habe nicht ins Schema gepasst, schreibt Elisabeth Joris.
„Stellten unverheiratete Frauen gesellschaftliche Forderungen, konnte ihnen ungestraft mit offener oder versteckter Häme begegnet werden, ausgedrückt in Worten voller Verachtung bis Hass wie „alte Schachtel“, „frustrierte Altjungfer“ und weit Schlimmerem.“
Elisabeth Joris in: „Gruss aus der Küche“
In Wirklichkeit aber hätten schon damals viele Frauen ein ungebundenes Leben einer Verbindung mit einem Mann vorgezogen, weiss Elisabeth Joris zu berichten. Vor allem unverheiratete Feministinnen hätten sich eingesetzt für das Stimm- und Wahlrecht.
„Unverheirateten Feministinnen konnte diese Verachtung nicht viel anhaben; sie bestärkte sie vielmehr in ihrer Einforderung der Menschenrechte auch für ihr Geschlecht.“
Elisabeth Joris in: „Gruss aus der Küche“
Als Vorzeige-Feministinnen, die dem Stimmrecht Vorschub geleistet haben, erwähnt Elisabeth Joris die Genferin Emilie Gourd, streitbare Basler Pazifistinnen und Lehrerinnen wie Rosa Göttisheim und Georgine Gerhard, dazu auch die Waadtländer Anwältin Antoinette Quinche oder die Zürcher Politikerin Emilie Lieberherr.
Und im tendenziell konservativen Wallis? Hier wirkte Renée de Sépibus, die Präsidentin des kantonalen Frauenstimmrechts-Vereins.
„Der Artikel 4 der Bundesverfassung erklärt die Gleichheit aller Schweizer vor dem Gesetz. Doch am 3. März werden aufgrund einer der schockierendsten Anomalien allein die Bürger männlichen Geschlechts an der Urne über einen Gesetzesartikel bestimmen, der ganz besonders Frauen interessiert.“
Aufruf von Renée de Sépibus und Antoinette Quinche an die Gemeinden.
Obschon die Kantonsregierung eine Zulassung der Frauen auf diesem Wege als illegal erklärte, hätten sich einige Gemeinden zum vorgeschlagenen Vorgehen bereit erklärt, wie Elisabeth Joris schreibt. Am meisten Aufsehen habe die Gemeinde Unterbäch erregt, „die als einzige Oberwalliser Gemeinde, unterstützt vom Bezirkspräfekten Peter von Roten, die Frauen zur Abstimmung aufrief“, schreibt Joris. 33 der 86 Frauen hätten daraufhin den Gang an die Urne gewagt. Allen voran sei Katharina Weissen, die Ehefrau des Gemeindepräsidenten, zur Urne geschritten. Sie ging in die Geschichte ein. Die Urne von Unterbäch stehe heute in der Ausstellung zur Schweizer Geschichte im Landesmuseum Zürich, merkt Historikerin Elisabeth Joris an.
Text, Bild und Radiosendung: Kurt Schnidrig