Im Theater-Klassiker aus dem Jahres 1932 stehen der arbeitslose Chauffeur Kasimir und seine Verlobte Karoline als Protagonisten im Zentrum. Entgegen dem biblischen Motto aus dem Neuen Testament „Und die Liebe höret nimmer auf“ zerbricht die Beziehung zwischen Kasimir und Karoline. Ort der Handlung ist das Oktoberfest in München an einem Abend zur Zeit der Weltwirtschaftskrise, die 1929 ihren Anfang nahm.
Das Leben geht weiter, es muss weiter gehen, im Hier und Jetzt. Das Leben ein Traum, in den Träumen der jungen Erwachsenen ist es eine langersehnte Party. Die Ansprüche an ein Party-Leben sind unermesslich hoch, der Absturz in den Suff und in eine verführerische Welt der Vergnügungen umso tiefer. Die jungen Erwachsenen ohne Lebenserfahrung verlieren den festen Boden unter den Füssen. Der tiefe Fall in Verzweiflung und Trostlosigkeit erlöst von Lebensentwürfen, die der enttäuschten Jugend keine Befriedigung bescheren.
Die Regisseure Barbara und Sigi bringen auf den Punkt, was Sache ist: „Kasimir will heim, Franz Merkel wird kriminell, Karoline provoziert und trinkt, Elli trinkt auch, Maria will nicht, tut es dann doch, Ruch blufft, Guhler grabscht, Speer äfft nach, Erna kennt die Sterne, Xaver liest und die Schürzinger küsst.“
Ödön von Horvath blieb der Weg auf die deutschen Bühnen während der unseligen Zeiten des Nationalsozialismus versperrt. Erst die Flower-Power-Generation in den späten 60er-Jahren entdeckte Horvaths Stücke neu und sorgte für eine veritable Horvath-Renaissance. In der Hippie-Zeit, in der Bewusstseinserweiterung – auch mit Hilfe von Drogen und Psychopharmaka – angesagt war, fanden die Rebellen der 1968er-Generation in Horvath ein Idol, denn Horvath nannte offen die „Demaskierung des Bewusstseins“ als oberstes Ziel seines Schaffens. Dass Horvath zur Idol-Figur der jungen Rebellen avancierte und bis heute eine Vorbildwirkung ausübt, hängt zusammen mit der volkstümlichen Art, wie er wirtschaftliche Probleme behandelt und inszeniert. Folgerichtig verlegt sich die Regie des Studententheaters 2022 auch auf technische Hilfsmittel und auf Social-Media-Effekte, um die Thematik des Stücks zeit- und publikumsgerecht rüberzubringen.
Es bleibt das Fazit: Die Regie und die Studierenden der Sectio Brigensis haben Horvath die beste Referenz erwiesen, sie haben seinen Charme, seinen Humor, sein Amusement und seine Phantasie grossartig in die Gegenwart übersetzt. Die Zitate aus dem Horvath-Stück hallen nach und bleiben haften:
Man hat halt so eine Sehnsucht in sich – aber dann kehrt man zurück mit gebrochenen Flügeln und das Leben geht weiter, als wäre man nie dabei gewesen.
Karoline aus dem Horvath-Stück
Weiterlesen! Wer sich vom Stück „Kasimir und Karoline“ angesprochen und aufgewühlt fühlt, dem seien an dieser Stelle die grossartigen Horvath-Romane zum Weiterlesen empfohlen: In seinen Romanen „Jugend ohne Gott“ und „Ein Kind unserer Zeit“ verpackt Horvath seine Kritik am politischen und sozialen Versagen in Geschichten, die auch uns Heutigen wie funkelnde Sterne in der Dunkelheit den Weg weisen.
Text und Fotos: Kurt Schnidrig