Oberwalliser Hörbuch-Klassiker

Rolf Hermann (links) produzierte die Hörbuch-Klassiker „Kein Zucker im Kaffee“ und „Porträt mit Heuschrecken“. Ich traf ihn am Literaturfestival Leukerbad. (Foto rro)

Die derzeitige Situation in einer stillgelegten Welt wird der Digitalisierung in allen Bereichen unseres Lebens nochmals einen Schub geben. Dies gilt besonders auch für Audioinhalte. Hörbücher und Podcasts können auf dem Computer oder dem Smartphone auch dann heruntergeladen oder gestreamt werden, wenn der Gang in die Buchläden erschwert ist. Bereits weitherum etabliert ist die Nutzung von Audiodateien auf dem Smartphone, das bei vielen von uns jederzeit griffbereit ist.

Hörbücher und Podcasts boomen. Grosser Beliebtheit erfreuen sich Podcasts oder Hörbücher vor allem bei jüngeren Menschen unter vierzig Jahren. Laut einer Studie aus dem Jahr 2019 hat jede und jeder Zweite der unter Vierzigjährigen mindestens ein Hörbuch oder einen Podcast gehört. Es scheint, dass sich insbesondere bei jüngeren Menschen immer mehr eine TV- und Bildschirm-Verdrossenheit einstellt. Viele möchten den Feierabend nicht mehr ausschliesslich vor der Glotze verbringen. Zwei Drittel der Befragten gaben in der Studie an, zur Entspannung auch mal Audio- oder Hörbüchern zu lauschen. Dass eine menschliche Stimme ein Thema ganz nahe bringt und dabei Intimität und Atmosphäre schafft, mag diesen Boom zum Teil erklären. Dazu kommt, dass ein Podcast es dem Konsumenten erlaubt, die knappe Zeit effizient zu nutzen. Während der Hausarbeit oder unterwegs hören immer mehr Menschen Bücher auf digitalen Kanälen mit Kopfhörern oder durch den Smartspeaker.

Oberwalliser Hörbuch-Klassiker. Hören statt Lesen? Hin und wieder haben gute Hörbücher durchaus Vorteile gegenüber den gedruckten Büchern. Was für Vorteile das sein können, zeigt zum Beispiel ein Hörbuch, das zum 100. Todestag von Hannes Taugwalder beim Visper romm-Verlag erschienen ist. Die Grundlagen zu diesem Taugwalder-Hörbuch entstammen den Gesprächen, die Rolf Hermann mit Taugwalder kurz vor seinem Tod geführt hat. Die Aufzeichnungen wurden zu einem Hörspiel erweitert mit dem Titel „Porträt mit Heuschrecken“. Das Hörbuch ist eine veritable Hommage an den Dichter und Schriftsteller Hannes Taugwalder. Darauf ist eine stimmige Auswahl von Texten, Gedichten, Fabeln und Gedankensplittern zu hören, die auch Taugwalders Liebe zur Zermatter Mundart dokumentieren. (Am Tag vor meiner Abreise. Zum Leben und Werk von Hannes Taugwalder. romm Verlag Visp).

Regionale Hörbuch-Spezialitäten. Ein eindrückliches Hörbuch ist „Kein Zucker im Kaffee“ von Rolf Hermann. Die Stoffe dazu lieferte die Autorin Ida Mathieu-Gottet aus Albinen, die während 50 Jahren Gedichte geschrieben hatte. Frau Mathieu-Gottet erzählt zum Beispiel, wie das kleine Walliser Dorf Albinen in der Mitte des letzten Jahrhunderts durch den Einbruch der modernen Zeit für unsere gesamte Bergregion eine exemplarische Entwicklung mitgemacht hat. War früher wirklich alles besser? Nach diesem Hörbuch-Erlebnis lässt sich auch hierüber trefflich diskutieren und fachsimpeln. So gesehen ist „Kein Zucker im Kaffee“ von Rolf Hermann eine Hommage eigentlich an jede Grossmutter. (Rolf Hermann: Kein Zucker im Kaffee. Hommage an Grossmutter. romm Verlag Visp).

Zauberhafte Rilke-Gedichte. Ebenfalls im romm-Verlag erschienen sind die „Walliser Quartette“ und die Rosen-Gedichte von Rainer Maria Rilke. „Rose, halbgeöffnetes Buch“ so der Titel des zweisprachigen Hörbuchs. Dabei sind aus literarischer Sicht die Übersetzungen von Rilkes französischen Gedichten durch Yvonne Goetzfried bedeutsam. Nur wenige haben sich bisher an die Übertragung von Rilkes französischen Gedichten herangewagt. Warum? Rilke hat sich darin ein Idiom geschaffen, das man auch als „Rilke-Französisch“ bezeichnet hat. Die knappe Form der Verse ist im Deutschen schwer zu formulieren. Die Übersetzerin war bemüht, in der deutschen Fassung den Rhythmus des Originals beizubehalten. Dagegen verzichtete sie auf den Reim, der zu starken inhaltlichen Abweichungen genötigt hätte.

Meister der kurzen Geschichten. Wer Hörbücher produziert, ist nicht selten auch auf kurze Geschichten spezialisiert. Was für das Oberwallis Rolf Hermann ist, das ist auf nationaler Ebene Peter Bichsel. In seinen Transsibirischen Geschichten steht das Reiseziel „Wladiwostock“ für „überall und nirgends“. Es ist kein Zufall, dass Bichsel diese Geschichten als Hörbuch herausgab und sie nicht einem gedruckten Buch anvertrauen wollte. Damit ruft er uns wieder einmal ins Bewusstsein, dass die Urform aller Kommunikation das mündliche Erzählen ist, und dass mit dem mündlichen Erzählen die Geschichten wunderbar beweglich und farbig daherkommen. (Peter Bichsel: Transsibirische Geschichten. Hörbuch Verlag „Der gesunde Menschenverstand“).

Hörbuch-Unterhaltung auf Reisen. Viele konsumieren Hörbücher vor allem zur Unterhaltung beim Autofahren. Da stehen spannende Krimis zuoberst auf der Wunschliste. Die Bestenliste dieser unterhaltenden Hörbücher führen regelmässig Werke der Krimi-Autorin Sandra Brown an. Die Autorin hatte zuerst als Schauspielerin gearbeitet, dann als Journalistin, bevor sie schliesslich mit ihren Krimis einen Erfolg nach dem anderen landete. Sie versteht sich darauf, eine mitreissende Spanung aufzubauen, die in einem Herzschlagfinale gipfelt. Dies wäre zweifellos eine Marktlücke, die insbesondere von Oberwalliser Regio-Krimi-Autor*innen gefüllt werden könnte.

Hören Sie meinen Podcast zu Hörbuch-Klassikern aus dem Oberwallis (rro-Literaturwälla-Archiv)

Text, Foto und Audio: Kurt Schnidrig