„Eurotrash“ – Europas belastende Vergangenheit

Aus Sicht der Amerikaner sind wir Europäer arrogant und eingebildet, wir sind „Eurotrash“. Im Bild: Paris mit Napoleons „Quadriga“.

Die Quadriga, eine Nachbildung der vier Pferde von San Marco in Venedig, steht zwischen dem Louvre und den Tuilerien in Paris. Napoleon hatte das Original nach seinem siegreichen Feldzug 1797 nach Paris bringen lassen. 1808 stellte er den Pferden noch zwei Siegesgöttinnen zur Seite. Als protzig und angeberisch bezeichnen die US-Amerikaner die Grosstuerei und die Angeberei der Europäerinnen und Europäer. Sie haben dafür gar einen Ausdruck kreiert: „Eurotrash“. Die abfällige und negative Bezeichnung „Eurotrash“ gebrauchen die Amerikaner auch für Europäerinnen und Europäer, die immer noch einen Adelstitel führen, die sich mit Küsschen auf beide Wangen begrüssen oder die sogar noch des Nachts in der Disco die Sonnenbrille aufsetzen. Europäisches Strebertum und kontinentale Angeberei kategorisieren die Amerikaner abfällig als „Eurotrash“.

„Eurotrash“ – so ist auch das neuste Buch des Schweizer Autors Christian Kracht (*1966 in Saanen) betitelt. Christian Kracht zählt zu den bekanntesten modernen deutschsprachigen Schriftstellern. Seine Romane „Faserland“ und „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“ sowie „Imperium“ sind in mehr als 30 Sprachen übersetzt. Nun steht Kracht als einziger Schweizer Autor auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis. Die Türen im internationalen Literaturbetrieb stehen ihm weit offen. Seine Bekanntheit verdankt er nicht zuletzt auch seinem Vater, Christian Kracht senior, der Verlagsmanager der legendären deutschen Axel-Springer-Verlagsgruppe gewesen war.

Christian Kracht kämpft gegen die deutsche Vergangenheit. Auch sein Erzähler-Ich in „Eurotrash“ heisst gleich wie der Autor, auch Christian Kracht. Immer wieder mal reist Kracht nach Zürich, in „die Stadt der geldgierigen Oberleutnants und selbstherrlichen Strizzis“. In Zürich wohnt Christian Kracht jeweils bei seiner Mutter, einer tablettensüchtigen und alkoholkranken Frau. Bei seinen Besuchen bringt Kracht seiner Mutter immer wieder mal Blumen mit. Die Blumensträusse sollen den Kampf vertuschen, den Mutter und Sohn gegen die eigene Vergangenheit führen. Der Grossvater war im Krieg einer von Hitlers Sturmbannführern in der SS-Nazi-Organisation. Der Nazi-Grossvater hatte regelmässig junge Frauen aus Island nach Deutschland geholt. Die Frauen hatten dem Bild einer idealen germanischen Frau zu entsprechen. Auf den Nazi-Partys in Zürich liess Grossvater die Frauen, welche das germanische Ideal verkörperten, feiern und tanzen.

Die belastende Nazi-Ära lässt die Mutter krank werden. Christian Kracht muss sie in eine Winterthurer Nervenklinik einliefern. Zusammen versuchen Mutter und Sohn die schandhafte und belastende Vergangenheit zu verarbeiten. Zu diesem Zweck unternehmen sie eine Reise. Die Reise dient dem Zweck, das „dreckige“ Geld aus der Nazi-Zeit an die erstbeste Person zu verschenken. Nachdem sie den Ballast der Vergangenheit, den Eurotrash, abgeworfen haben, besuchen Mutter und Sohn ihre Sehnsuchtsorte, die Heilung versprechen. Mutter und Sohn klammern sich aneinander um zu verhindern, dass sie in die Leere einer schandhaften Vergangenheit stürzen. Der Roman „Eurotrash“ steht damit für die vielen emotional defizitären Menschen, die immer noch mit den Gespenstern der kriegerischen Nazi-Vergangenheit zu kämpfen haben.

Hören Sie den Podcast aus der Sendung Literaturwelle zum Roman „Eurotrash“ des Schweizer Autors Christian Kracht. (Quelle: rro / Kurt Schnidrig / Petra Wysseier)

Text, Bild und Radiosendung: Kurt Schnidrig