An der Vernissage von Denise Eyer-Oggier im Kulturraum des Alten Werkhofs in Brig zogen mich die grossformatigen Gemälde magisch in ihren Bann. Hoffnungsvolle, sehnsüchtige, liebreizende, traurige und auch völlig entsetzte Augenpaare weckten in mir geheimnisvoll und unwiderstehlich Erinnerungen. Hinter den märchenhaft-orientalischen Augenpaaren glaubte ich die gesamte arabische Kultur und Geschichte wieder zu entdecken. Die Lyrik und die Märchendichter des Iran und Syriens sprachen aus den weiblichen Augenpaaren einer geheimnisvollen „Elle“ zu mir. Die „Elle“ aus der arabischen Wüste flüsterte mir beim Betrachten sehnsuchtsvolle Worte ins Ohr, oftmals waren sie in Verse gefasst. Ich versank in arabischen Augen und begann zu träumen… von einer blühenden Wüste, aber auch von mit Bitternis getränkter Erotik.
„Ich und mein Glück warten auf die Schwingungen deiner Schritte…. Ich habe viel gekämpft, um dein Herz zu gewinnen, nur um in ihm zu schlafen.“
(Maram al Masri, *1962 in Syrien)
Die Künstlerin Denise Eyer-Oggier taucht ein in Lyrik und Geschichte des Nahen Ostens. Die syrische Schriftstellerin Maram AL-MASRI ist es, die mit ihrer Poesie und mit ihrer Lyrik die Künstlerin inspiriert hat. 1982 flüchtete AL-MASRI ins Exil nach Paris, dort lebt sie auch heute noch. Seit zehn Jahren bereits produziert sie eine Frauenanthologie, die „Women Poets of the Arab World“. Der aktuelle syrische Konflikt belastet AL-MASRI, und sie erträumt sich in ihren Schriften, „dass Syrer fliegen können und Syrien leer ist, anstatt mit Ruinen und Gräbern gefüllt zu sein.“
Den legendären Stolz der arabischen Welt legte Maram AL-MASRI an den Tag, als sie während des Arabischen Frühlings mutig gegen das Assad-Regime angeschrieben hatte. Sie stellte sich damit in eine Tradition mit dem wohl bekanntesten arabischen Dichter namens Abu Tajib Ahmad ibn al-Husain, bekannt als Mutanabbi. Er gilt als der Meister der klassischen arabischen Lyrik. Geboren wurde Al-Mutanabbi bereits vor 1100 Jahren. Seine Verse versprühen eine Grandezza, die ihresgleichen sucht.
„Ich bin’s, von dessen Licht die Blinden seh’n, / und dessen Wort die Tauben selbst versteh’n. / Im Schlafe füllt mein Auge Poesie, / Mit Mühe sammeln andre wachend sie.“
(Al-Mutanabbi)
Der Nahe Osten war schon zu Mutanabbis Zeiten ein Pulverfass. Schon im 10. Jahrhundert schwächelte das Kalifat in Bagdad. Es wurde überflügelt von den Regionaldynastien in Ägypten, Syrien und Persien. Eine nur lose mit dem Islam verbunden Sekte, die Qarmaten, bedrohten das Land und mordeten Pilger. Um 930 eroberten die Qarmaten sogar Mekka und verschleppten dessen zentrales Heiligtum, die Ka’aba, bekannt als „der heilige Stein“.
Persönliche Betroffenheit. Frieden, Freiheit und Liebe versprechen die Augenpaare auf den Bildern von Denise Eyer-Oggier. Sie wecken das Mitgefühl des Betrachtenden. Auch bei mir. Beim Betrachten tauchte ich ab in Erinnerungen an eine Reise, die mich auf die Golanhöhen geführt hatte, ausgerechnet während des Bürgerkriegs in Syrien. Damals eskalierte der Konflikt zwischen Israel und dem Irak. Was ich als Beobachter an der syrischen Grenze erlebte, ging unter die Haut. Dort oben, wo ich noch vor kurzem die grossartige Sicht auf Israel und Syrien genossen hatte, gingen jetzt Raketen und Bomben nieder.
Furchtbare Szenen spielten sich in den Spitälern und Flüchtlingslagern ab. Die ehemalige Bundesanwältin Carla del Ponte träumte damals von einem letzten grossen Coup in ihrem Leben: Nur allzu gerne hätte sie den syrischen Diktator Baschar al-Assad hinter Gitter gebracht! Besonders litt Syriens Jugend unter dem Krieg. Bilder von traumatisierten Kindern zirkulierten. In den späten Neunzigerjahren stand ich erneut oben auf den Golanhöhen, die auf einer Höhe von 2000 Metern einen atemberaubenden Blick freigeben auf die verfeindeten Staaten Syrien und Israel. Schützengräben und ausgediente Geschütze erinnern an den Sechstagekrieg. Das Gebiet wurde 1967 von der israelischen Armee erobert und wird seitdem von Israel kontrolliert. Israel rechtfertigt die anhaltende Besetzung mit der militärstrategischen Bedeutung. Von hier oben lässt sich der Nordosten Israels, der Südosten Libanons und der Südwesten Syriens leicht kontrollieren.
Zurück in der Ausstellung im Kulturraum Alter Werkhof. Ich verdränge die Erinnerungen an meine Zeit als Beobachter auf den Golanhöhen. Ein Poem der exilierten syrischen Dichterin Maram AL-MASRI verströmt Hoffnung, Zuversicht und Liebe.
„Wir, die Verbannten, streifen durch unsere fernen Häuser, während Liebende durch die Gefängnisse streifen, in der Hoffnung, die Schatten ihrer Liebhaber zu sehen. Wir, die Verbannten, haben eine unheilbare Krankheit satt. Liebe eine Heimat, die getötet wurde.“
(Elle va nue la liberté, Bruno Doucey, 2013)
Text und Fotos: Kurt Schnidrig