Die Gommer im Jagdfieber

Die Walliser sind „wie von Sinnen“, wenn die Jagd losgeht. Der dritte Gommer Krimi von Kaspar Wolfensberger ist eine leidenschaftliche Hommage an das Goms und die Gommer. (Fotos: Kurt Schnidrig)

Im herbstlichen Goms herrscht das Jagdfieber. Die Jäger schiessen auf alles, was sich bewegt. Ist es Zufall oder Kalkül? Gleich auf den ersten Seiten von Wolfensbergers drittem Gommer Roman mit dem Titel „Gommer Herbst“ muss einer der Grünröcke den Gang ins Jenseits antreten. Das liest sich dann so: „Er wartet und wartet. Immer noch tut sich nichts. Doch dort! Etwas bewegt sich. Und schon steht er vor ihm, vielleicht hundert, hundertfünfzig Schritt entfernt: ein prächtiger Zwölfender. (…) Der kapitale Stier steht jetzt quer zum Jäger. Den Finger am Abzug, hat der Waidmann die Beute im Visier. Eine Sekunde, zwei Sekunden – dann ein Schuss. Der Hirsch schreckt hoch, nimmt in grossen Sprüngen Reissaus und verschwindet im Lärchenwald. Der Mann sackt zusammen, die Büchse entgleitet seinen Händen. Er sinkt auf seinen Hocker zurück und kippt langsam nach hinten. Auf seiner Jacke bildet sich ein dunkler Fleck.“ (Gommer Herbst, S. 11).

Ein Wildhüter wird von einem Jäger erschossen. Geschossen wird auf alles, was sich bewegt. Das Buch kommt pünktlich zur Eröffnung der Hochjagd im Goms. Ob er denn unter diesen Umständen zusammen mit Gommer Jägern auf die Jagd gehen würde, wollte ich von Kaspar Wolfensberger wissen. Nun ja, es seien ja fiktive Umstände in seinem Buch, sinniert Wolfensberger. Aber doch, ja, er würde ohne zu zögern mit einem Gommer Jäger auf die Jagd gehen. Allerdings bleibe da immer ein Restrisiko, schiebt Wolfensberger nach, eine gelbe Signalweste würde er deshalb schon überziehen.

Wildwest im Wallis. Wieder die alte Leier?, stichelte ich gegen den Psychiater und Krimiautor, Skandale en gros, dafür sind wir Walliser immer gut… Doch Wolfensberger ist nicht aus der Ruhe zu bringen. Zu sehr ist er erfüllt von seiner Mission, dem Goms und den Gommern, aber auch den Wallisern insgesamt, einen Spiegel vorzuhalten. Dieses Mal ist es ein mysteriöser Jagdunfall, der das Geschehen in Gang bringt. Ein gefundenes Fressen für einen Krimiautor wie Wolfensberger. Ich bin entwaffnet, meint er höflich, denn es geht in meinem Roman tatsächlich um Gesetzesbrecher, und es wird scharf geschossen und herumgeballert. Sogar ein nobler Advokat und Notar erhält anonyme Briefe und man bangt um sein Leben. Ob er doch wieder auf der alten Leier spiele und weiter am „Wildwest-Epos“ über die gesetzeslosen Walliser schreibe?, hakte ich nach. Doch einer wie Wolfensberger ist nicht um eine träfe Antwort verlegen. Auf seine Ermittler lässt er nichts kommen! Zum Glück gebe es da den Polizisten Chüzz Walpen und den Inspektor Alain Gsponer, meint er, die würden seriös arbeiten, die würden diese oder jene Fährte verfolgen, aber die würden keinesfalls einfach die gesamte Jägerschaft verdächtigen, versucht der gewiefte Krimiautor zu beschwichtigen.

Was kann ein Krimi zur Wolfsproblematik beitragen? Der Autor ist von der heilsbringenden Wirkung seiner Romanstory überzeugt. Als er den Krimi geschrieben habe, da habe er viel recherchiert, er habe mit Wolfsbefürwortern und mit Wolfsgegnern gesprochen. So gesehen, könne sein Krimi tatsächlich Verschiedenes zur Diskussion rund um die Wolfsproblematik beitragen. Und der Autor outet sich schon fast als ein Einheimischer, wenn er seinen Figuren in den Mund legt: „Die Grüezini haben immer die grösste Klappe, wenn es um den Wolf geht.“ Der „Gommer Herbst“ lebt im Wesentlichen von „Déjà-vus“. Vieles, was zum Lokalkolorit beiträgt, hat sich so oder ähnlich ereignet. Dass er aber eine reale Begebenheit auf die Schippe nehme, das sei nicht seine Absicht, meint der Autor. Ähnlichkeiten mit wahren Begebenheiten könne er allerdings nicht ausschliessen, schmunzelt er.

Krimi-Autor Kaspar Wolfensberger ist ein unermüdlicher Rechercheur. Die Skizzen zum „Gommer Herbst“ hat der Autor zum Beweis in der Münstiger Mehrzweckhalle aufhängen lassen.

Ein historischer Krimi? Die Ermittler im „Gommer Herbst“ führen uns als Leser weit zurück in die Gommer Geschichte. Liesse sich der „Gommer Herbst“ auch noch als „Historischer Krimi“ verkaufen? Davon ist der Autor überzeugt. Er beziehe die Vergangenheit der Walliser auf eine Art und Weise ein, wie dies auch Historiker tun würden, gibt sich Wolfensberger selbstsicher. Selbstsicherheit ist eines der Markenzeichen dieses Autors, der Psychiater, Psychotherapeut und Krimischreiber in einer Person vereint. Welche Therapieform er den Jägern denn empfehlen würde, die ab nächster Woche in den Gommer und Walliser Tälern wieder auf alles schiessen würden, was sich bewegt? Auf diese meine Frage folgt eine diplomatische Antwort: Die Gommer Jäger, die er getroffen habe, seien allesamt gesund und stünden mit beiden Beinen auf dem Boden. Und wenn einmal eine Therapie für übereifrige Grünröcke erforderlich sein sollte, dann würde er eine Lachtherapie verschreiben. Bei dieser Antwortet outet sich der Krimiautor als Psychiater. Also ist der „Gommer Herbst“ doch auch ein klein wenig autobiographisch, liesse sich zusammenfassend festhalten.

Wolfensberger erläuterte seine Arbeit am „Gommer Herbst“ im Gespräch mit Martin Nanzer.

Während des Schreibens kamen die Ideen. Nein, er habe nicht die ganze Geschichte von Anfang an im Kopf, wehrt Kaspar Wolfensberger ab. Zwei Jahre lang habe er am „Gommer Herbst“ geschrieben. Einiges sei zu Beginn bereits rudimentär vorhanden gewesen. Der Plot mit all seinen Wendungen und Verwicklungen aber habe sich erst während des Schreibens konkretisiert.

Geballtes Jägerwissen. Das Jägerlatein beschränkt sich im „Gommer Herbst“ lediglich auf das Vokabular. Das Blut heisst in der Jägersprache „Schweiss“ und ein guter Jäger „trägt einem Tier den Schuss an“. Der Krimiautor würde wohl auch eine Walliser Jagdprüfung bestehen, gäbe es da nicht auch Noten für das Schiessen. Die Zulassung zur Theorieprüfung müsste ihm jedoch nach den umfangreichen Recherche-Arbeiten zum „Gommer Herbst“ zugestanden werden. Er habe sich mit auskunftsfreudigen Grünröcken getroffen und sogar eine Jagdzeitung abonniert, schmunzelt er. Das umfangreiche Wissen, das der Autor in seinem neusten Kriminalroman ausbreitet, trägt zu einer atmosphärischen Dichte bei, die das Werk weit über einen Roman mit blossem Lokalkolorit hinaushebt. Wolfensbergers „Gommer Herbst“ ist eine volkskundlich wertvolle und dazu auch äusserst unterhaltsame Lektüre, welche die „Gommer Art“ treffend wieder gibt, wie dies in der Jägersprache wohl heissen müsste.

Text und Fotos: Kurt Schnidrig