Sie legt ihre Texte irgendwo in die Landschaft. Sie schreibt sie auf Baumrinden, Blätter oder auf Holzstückchen. Manchmal schreibt sie auch auf einen flachen Stein, dann wirft sie ihn weg. „Vielleicht liest ja jemand, was auf dem Stein steht“, meint die Lyrikerin Jolanda Brigger-Ruppen. Und sie erklärt: „Ich suche nach Möglichkeiten zum Veröffentlichen, aber möglichst auf originelle Art und Weise.“
Ausgetretene Pfade verlassen. Jolanda Brigger-Ruppen ist eine Autorin, die sich nur schwer in literarische Kategorien zwängen lässt. Sie ist unfassbar originell, sie erfindet sich und ihr Schaffen ständig neu. Dabei begann alles bei ihr eigentlich ganz konventionell und traditionell. Aufgewachsen in einer Hotelierfamilie, war sie in der Tourismusbranche tätig. Sehr früh schon schrieb sie Gedichte und Geschichten, und als solche ist sie nicht nur Aktiv- und Vorstandsmitglied des Oberwalliser Schriftstellervereins WAdS, sondern auch ein höchst aktives Mitglied des kantonalen Schriftstellerverbands und der Schweizerischen Lyrischen Gesellschaft Pro Lyrica. Ihre ersten Publikationen tätigte sie so, wie dies wohl die meisten Schreibenden tun: bei einem Verlag und zwischen Buchdeckeln. Mit dem Titel „Zeit der Erkenntnis“ veröffentlichte sie eine Gedichtsammlung. Dafür erhielt sie den Kulturförderpreis der Raiffeisenbank Mischabel Matterhorn. Es folgten Publikationen in Anthologien wie „Talwind“, aber auch in Periodika, so auch im „Walliser Jahrbuch“, in der CH-Literaturzeitschrift „Orte“, in den „Editions écrits du valais“, in „Aroleit Berg- und Talgeschichten“ oder auch im „Cahier de la SEV“ oder in Lyrik-Jahreskalendern. Für die Gedichtsammlung „Und mittendrin die Soldaten“ wurde sie mit dem Anerkennungspreis der WAdS geehrt. Doch dann suchte sie nach alternativen und ungewöhnlichen Möglichkeiten des Publizierens. Ihr erster Roman „Das ständige Denken an Schönes“ war ab März 2014 auf www.1815.ch ein Jahr lang online abrufbar. Und ihr Schaffen sollte fortan noch originellere und alternativere Züge annehmen.
Gedichte, in die Landschaft gelegt. Wenn Jolanda Brigger-Ruppen unterwegs ist, dann schreibt sie Kurzgedichte, Senryus und Haikus auf Steine, Baumrinden, Blätter oder Holzstückchen. Dann legt sie diese in die Landschaft, irgendwo, wo sie vielleicht ein unbekannter Leser findet. Jolanda Brigger-Ruppen ist jedoch keine Heimlichtuerin, ganz im Gegenteil, sie wartet nur darauf, dass jemand ihre „weggeworfenen“ Texte liest. „Ich schreibe manchmal auch meine Mailadresse hin“, gesteht sie.
Gedichte aus dem Zigaretten-Automaten. Auch ausgediente Zigaretten-Automaten mutieren unter Jolanda Brigger-Ruppen zu Lyrik-Verlagen. Gerne darfs auch mal „auswärts“ sein, in einer Stadt wie Basel, wo ihre Gedichte aus dem „Basler Literaturautomaten“ für Furore sorgen. Der Literaturkonsum auf die Schnelle ist in der schnelllebigen Stadt beliebt, fast so wie ein Kaffee oder (früher) eine Zigarette im Stehen. Gerne ziehe ich für Sie, liebe Leserin, lieber Leser, beispielhaft an einem Schublädchen des Basler Literaturautomaten. Und das kommt da raus: Gerade war da noch / das Meer in deinen Augen, / und beim nächsten Wimpernschlag war’s fort. // Gerade war da noch dein Lächeln auf den Lippen / und im nächsten Augenblick / war’s nicht mehr. // Gerade war da noch – / Etwas griff nach dir. / Du legtest deinen Körper ab, / wie Kleider, die du gestern trugst. // Gerade schlug dein Herz / vom Mond herunter. / Die Erde klingt / viel härter ohne dich.
Gedichte, am Wegrand verfasst. Jolanda Brigger-Ruppen ist keine Schreibtischtäterin. Das pralle Leben draussen in freier Wildbahn inspiriert sie zu ihren Texten. Plötzlich kann es dabei geschehen, dass ein kurzes Gedicht derart unter die Haut geht, dass man sich fragt: Wie nur kann das geschehen? Die Antwort kann nur sein: Die Lyrikerin schöpft ein erfülltes Leben mit all den dazugehörenden Erfahrungen in einen Sechszeiler: Was von Glück / am Wegrand wächst, / will ich pflücken / dir allein. / Und muss ich gehen, / bis Sterne unter mir. (Aus: Zeit der Erkenntnis). Trotz all der Ernsthaftigkeit beglückt die Lyrikerin ihre Leserschaft am Wegrand jedoch immer wieder auch mit einem versteckten Lächeln zwischen den Zeilen:
Das Erleben von Natur und Umwelt setzt die Lyrikerin all dem entgegen, was uns einengt und was uns bedrängt:
Niemals aufgeben! Jolanda Brigger-Ruppen gehört zu jenen unermüdlichen Literaten, für die das Leben eine wundervolle Spielwiese ist. Nicht nur erfindet sie sich immer wieder neu, sie experimentiert im phantastischen Labor, das uns Natur und Umwelt bereitstellen. Neuerdings versucht sie sich in visueller Poesie. Es sind dies Texte fürs Auge, die fast schon an aussereuropäische Traditionen erinnern, insbesondere an den japanischen „Shikakushi“. Als Lyrikerin arbeitet sie nun im Grenzbereich zwischen Poesie und Bildender Kunst.
Ein Kreis schliesst sich. Kehrt die Lyrikerin Jolanda Brigger-Ruppen vielleicht doch wieder zum herkömmlichen Veröffentlichen zurück? Wer sie kennt, der weiss: Jolanda fährt wohl einfach mehrgleisig, will heissen: Sie kann so oder so. Oder auch so. Sie liebt es, ihre Werke „live“ vor Publikum darzubieten, so wie sie dies sommers nun schon einige Male anlässlich der Grächner Kulturabende getan hat. Dass nun aber endlich auch das Dorfblatt „Grächen Aktuell“ in seiner Herbstausgabe ihr einen gebührenden Platz einräumt, das war wohl fällig. Nun sollen Jolanda Brigger-Ruppens Gedichte hier regelmässig abgedruckt werden. Aus ihrer Sammlung von visuellen Gedichten haben die Verleger von „Grächen Aktuell“ interessanterweise das Gedicht „Mülltonne“ ausgewählt:
Was kommt da noch? Wer im eigenen Feld-, Wald- und Wiesenverlag ebenso zu Hause ist wie in Literaturautomaten und zwischen preisgekrönten Buchdeckeln, der weckt bei der Leserschaft eine Erwartungshaltung. Während viele Autorinnen und Autoren ihre Werke teuren Bezahlverlagen anbieten und sich dabei finanziell ruinieren, während andere ein Leben lang darauf warten, von einem Grossverlag entdeckt zu werden, beschreitet die Lyrikerin Jolanda Brigger-Ruppen eigene, originelle und alternative Wege. Was sie von ihren schreibenden Kolleginnen und Kollegen unterscheidet, das ist ihre Selbstzufriedenheit. Sie ruht in sich selbst, sie schreibt aus dem Leben und für das Leben, das Schreiben ist für sie auch eine lustvolle Spielerei. „Ich möchte Texte vermitteln, ich gehe dabei aber unkonventionelle Wege“, fasst sie ihr dichterisches Wirken zusammen.
Einfach nur machen! Ein experimentelles Gedicht von Jolanda Brigger-Ruppen trägt den Titel „nein machen“. Was haben viele von uns für hochfliegende Pläne! Viele verzagen, weil sie zu viel überlegen, weil sie zu verkopft sind, weil sie „es“ allen recht machen wollen. Das Leben plätschert dahin, das Leben vergeht. „Später“, sagen viele von uns liebend gerne. „Später möchte ich dann noch…“ Und nur zu oft ist dann „später“ zu spät.
Text und Fotos: Kurt Schnidrig