Die Buchhandlung ZAP in Brig hatte alles vorgekehrt, um „Mister Corona“ und mir einen ruhigen und vor allem sicheren Verlauf des Gesprächs zu ermöglichen. Bereits während seiner Zeit als Krisenmanager und als Delegierter des BAG für Covid-19 hatte ich das Charisma, die ruhige und überlegte Art und auch die kommunikativen Fähigkeiten des Arztes Dr. Daniel Koch bewundert. Die persönliche Begegnung mit „Mister Corona“ entsprach somit auch einem grossen Wunsch meinerseits. Das Gespräch versuchte ich so zu gestalten, dass zuerst die Aktualität mit den steigenden Fallzahlen zur Sprache kam, dann Daniel Kochs Äusserungen in seinem Buch zur Corona-Epidemie, in einem dritten Teil dann seine Erfahrungen als IKRK-Delegierter in Schwellen- und Entwicklungsländern. Schliesslich wünschte ich mir von Daniel Koch auch sehr persönliche Auskünfte darüber, wie es ihm gelingt, trotz randvoller Agenda eine funktionierende Work-Life-Balance zu pflegen.
„Die aktuelle Situation ist beunruhigend“. Die Fallzahlen der Infizierten schnellen in die Höhe. Die Positivitätsrate erreichte in den vergangenen Tagen einen Rekordwert seit dem Abklingen der ersten Welle. Und dies nach einer längeren Phase der Stabilisierung. Steuert die Schweiz auf dasselbe Szenario zu wie Holland? Es sei noch zu früh für eine echte Prognose, räumt Daniel Koch ein. Die aktuelle Situation sei aber zweifellos beunruhigend. Jetzt gelte es aber zunächst, die nächsten Schritte der Behörden abzuwarten.
„Wir müssen gesamtschweizerisch vorgehen, nicht jeder für sich.“
Daniel Koch im Gespräch mit Kurt Schnidrig
Ob die Kantone das Corona-Regime verschärfen sollten? Auf jeden Fall sei jetzt wichtig, das gleiche harte Regime wie im Frühjahr zu vermeiden, sagt Koch. „Wir müssen gesamtschweizerisch vorgehen, nicht jeder für sich.“ Und dann gelte es, gezielt und besonnen Schritt für Schritt vorzugehen.
Keine vorschnellen Schlüsse. Zurzeit kursieren viele Thesen und Theorien. Die steigenden Fallzahlen würden vor allem die Ballungsgebiete betreffen und seien auf einzelne Ansteckungsherde, sogenannte „Cluster“, zurückzuführen, wird behauptet. „Es ist zu früh für Thesen“, warnt Daniel Koch. Tatsache sei einzig, dass das Virus nun mehr junge Menschen in sich tragen als noch im Frühjahr. Warum allerdings die Fallzahlen nun in die Höhe schiessen, darüber lasse sich nur spekulieren. „Das müssen wir analysieren, das ist besser als mit Thesen aufzuwarten“, rät Koch.
„Fast alle respiratorischen Viren haben eine Saisonalität, so wie die Grippe auch.“
Daniel Koch im Gespräch mit Kurt Schnidrig
Auch auf die Frage, ob die steigenden Fallzahlen mit dem kürzlich erfolgten Kälteeinbruch zu tun hätten, antwortet Koch zurückhaltend. „Fast alle respiratorischen Viren haben eine Saisonalität, so wie die Grippe auch“, meint Koch. Doch momentan kämen derartige Spekulationen einfach noch zu früh. „Wegen eines einzigen Kälteeinbruchs ist es noch verfrüht, die Ursache für die explodierenden Fallzahlen allein darauf zurückzuführen.“
Bevormundung ist nicht Schweizer Art. Einer reinen Verbotsstrategie hat Daniel Koch nie das Wort geredet. Er setzte bereits früh in der Krise auf eine Mischung aus Eigenverantwortung, Schutz der vulnerablen Gruppen und Verboten für die Bevölkerung. Eine solche Strategie würde er auch jetzt empfehlen. „Bevormundung ist nicht Schweizer Art“, gibt sich Koch überzeugt. Besser sei es, sich der Bevölkerung gegenüber gut nachvollziehbar zu erklären und Massnahmen zu ergreifen, die verstanden werden. Funktioniert aber die Kontaktverfolgung noch? Hat sich die Swiss-Covid-App bewährt? Wie bei allen technischen Hilfsmitteln sei die Anwendung schwierig, antwortet Daniel Koch auf diese Fragen. Zu einer Lösung aller Probleme tauge die App nicht. Die App könne jedoch ein Hilfsmittel unter anderen sein.
Als „Mister Corona“ gefragt. Daniel Koch ist die Identifikationsfigur der Krise. Er ist „Mister Corona“. Ob er sich – falls eine riesige zweite Welle kommt – nochmals als Krisenmanager zur Verfügung stelle? „Das ist eine schwierige Frage“, sinniert Koch. Da gelte es nun die weitere Entwicklung abzuwarten. Ob er denn bei einer neuerlichen Pandemie-Bekämpfung als Krisenmanager etwas anders machen würde? Auf diese Frage antwortet Daniel Koch ausweichend. Nun sei er ja schon mehrere Monate nicht mehr im Amt. Er kenne die Mitarbeiter nicht mehr und er wisse auch nicht, welche Hilfsmittel ihm zur Verfügung stünden. Mit seiner stoischen Ruhe und mit seiner schier unendlichen Geduld hat Daniel Koch bei der Bevölkerung gepunktet. Ob er nun den Druck seiner Nachfolger zu spüren bekomme? Das sei nicht der Fall, antwortet Koch. Die Pandemie würde jetzt schon lange andauern, man verbinde die Krise mit seinem Gesicht. Damit könne und müsse er leben.
„Das Virus kann gefährlich sein. Wen es hart trifft, der liegt wochenlang auf der Intensivstation. Wer vom Virus heimgesucht wird, der riskiert auch Langzeitfolgen.“
Daniel Koch im Gespräch mit Kurt Schnidrig
Die Corona-Skeptiker monieren, der Bundesrat habe zu viel Macht. Die Kritiker fürchten sich vor Impfungs-Versuchen an der Bevölkerung. Sie haben auch ein Referendum lanciert gegen das Covid-Gesetz. Ihnen hält Koch entgegen, dass das Virus nicht unterschätzt werden dürfe. „Das Virus kann gefährlich sein. Wen es hart trifft, der liegt wochenlang auf der Intensivstation. Wer vom Virus heimgesucht wird, der riskiert auch Langzeitfolgen. Vom Virus Betroffene verlieren womöglich an Lebensqualität“, warnt Koch. Andererseits gesteht er den Kritikern durchaus auch eine andere Meinung zu. „Andere Meinungen muss man aushalten“, sagt Koch. In der Verwaltung sei immer vieles verbesserungswürdig, fügt Daniel Koch an. „Ich kann aber nur sagen, wie ich es erlebt habe, das ist subjektiv. Für eine objektive Evaluation müssen andere zuständig sein“, bringt Daniel Koch auf den Punkt. Seiner Meinung nach hätte man schneller und früher öffnen können. Aber letztlich sei der Bundesrat zuständig, der müsse entscheiden. Der Bundesrat habe perfekte Arbeit geleistet, eine Arbeit, die er unterstütze.
Mit Blick in die Zukunft sei es nun wichtig, Fortschritte zu erzielen, und zwar auch im Hinblick auf die anstehende Skisaison, sagt Koch. Aber jetzt sei das BAG nicht mehr allein zuständig. Die Fäden würden bei der externen wissenschaftlichen Taskforce zusammenlaufen. Manchmal würde sich die Situation aus wissenschaftlicher Sicht als zu eng präsentieren. „Es geht um die Gesundheit der Bevölkerung, da muss man die Probleme etwas breiter anschauen“, meint Koch. Wichtig sei, dass man das Zielpublikum, die Bevölkerung, im Auge behalte. Das Praktische sei wichtig, es gelte, die Bedürfnisse der Leute zu kennen und darauf einzugehen.
„Einen neuerlichen Lockdown kann man sich insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern nicht mehr leisten. Da bestimmt der Kampf um das tägliche Brot das Leben“.
Daniel Koch im Gespräch mit Kurt Schnidrig
Das Gesundheitssystem in Entwicklungs- und Schwellenländern würde einen neuerlichen Lockdown nicht mehr verkraften, ist Daniel Koch überzeugt. „Weltweit haben wir noch nie so etwas erlebt“, fasst der weitgereiste Daniel Koch zusammen. Diese Krise sei besonders. Er habe auch als IKRK-Delegierter in Krisenländern vieles erlebt. Vorträge halten, auf Hygiene achten und Abstand halten, das seien Konstanten in der Bewältigung von Krisen, die durch Viren verursacht werden. Immer würden aber neue und andere Aspekte auftauchen, die man so nicht auf der Rechnung hatte. Deshalb gelte es, wachsam und achtsam zu bleiben.
Lässt sich die Corona-Krise mit anderen virenverseuchten Gebieten vergleichen, in denen Daniel Koch in den späten 1990er-Jahren als IKRK-Delegierter gearbeitet hat? Als Krisenmanager hatte Daniel Koch beispielsweise in Peru gegen Infektionskrankheiten wie Typhus vorzugehen. Hygienemassnahmen und Aufklärung der Bevölkerung waren schon damals wichtige Konstanten seines Krisenmanagements. Ein tückisches Virus hatte er im Jahr 2000 in Sierra Leone zu bekämpfen: Glaubte man zuerst, es handle sich um Typhus, stellte sich erst später heraus, dass es sich um „Lassafieber“ handelt. Das Virus wurde von Ratten und Mäusen übertragen, die Menschen verbluteten dabei. Mit der aktuellen Corona-Krise lassen sich alle diese Infektionskrankheiten aber nicht vergleichen.
„Weltweit habe ich noch nie so etwas erlebt. Die aktuelle Corona-Krise ist besonders“.
Daniel Koch im Gespräch mit Kurt Schnidrig
Literatur als Therapie. Daniel Koch achtet auf eine funktionierende Work-Life-Balance. Als er im Jahr 1997 im Kriegsgebeit unterwegs war, da hatte er auch drei Bände von Tolkiens „The Lord of the Rings“ mit im Gepäck.
„Beim IKRK hatten wir lange Reisezeiten. Dabei waren Bücher immer eine gute Möglichkeit zur Entspannung, zum Ausgleich und zur Verarbeitung“.
Daniel Koch im Gespräch mit Kurt Schnidrig
Daniel Kochs Zielsetzungen für die Zukunft? Da lässt er sich nicht in die Karten blicken. Mit seinem treuen Hund Troy hatte er 2019 die Europameisterschaft im „Canicross“ gewonnen. „Diesen Titel möchte ich verteidigen“, sagt Daniel Koch, und in seinen Augen glaube ich ein herausforderndes Strahlen und Leuchten zu erkennen. In seinem Buch „Stärke in der Krise“ lese ich berührt und beeindruckt vom so ganz anderen Leben des „Mister Corona“, das sich in den Wäldern und in Gesellschaft seiner drei Hunde Akira, Chili und Troy abspielt: „Am Abend finden die Siegeszeremonien statt. Von der Schweizer Delegation haben es nur Jolanda und ich auf ein Podest geschafft, glücklicherweise beide auf den ersten Platz. Zuoberst zu stehen und die Nationalhymne zu hören ist überwältigend. So schön ist es vor allem, weil ich es mit meinem vierbeinigen Freund Troy, dem zwölfjährigen Rüden, erleben darf.“ (Daniel Koch: Stärke in der Krise, Seite 252).
Text, Fotos und Radiosendung: Kurt Schnidrig