Wir leben in Krisenzeiten, in virenverseuchten Zeiten. Wir leben in Zeiten, in denen viele von uns um ihre wirtschaftliche Existenz bangen. Auch davon erzählt Simone Lappert in ihrem Buch „Wurfschatten“. Ich traf Simone Lappert vor Jahresfrist im Theater Basel. Damals hätte sie wohl nicht gedacht, dass ihr Buch-Erstling, den sie bereits im Jahr 2014 als Erstausgabe unter eigenem Copyright publiziert hatte, nun in diesem Krisenjahr 2020 im Programm des Diogenes Verlags als Neuauflage erscheinen würde.
Ada heisst die Protagonistin in „Wurfschatten“. Ada ist Schauspielerin, und sie schlägt sich mehr schlecht als recht durchs Leben. Vor allem verdient sie sich mit Engagements bei sogenannten „Krimi-Dinners“ ihren Lebensunterhalt. Ihr Regisseur veruntreut jedoch ihr ganzes Vermögen, nicht einmal mehr den Mietzins für die eigene Wohnung kann Ada noch berappen. Die existenzielle Krise löst bei Ada eine Spirale der Angst aus: Ada ängstigt sich plötzlich vor allem und vor jedem.
„Mit der Angst, das ist wie mit einem Ausschlag. Manchmal ist es schlimm, und dann klingt es wieder ab, aber es verschwindet nie ganz.“
„Wurfschatten“, Seite 231
Ada hat Angst vor ihrem eigenen Körper, sie hat Angst vor Erdbeben, vorm Ersticken, vorm Erschlagenwerden, sie hat Angst vor einer Herzattacke, einer Hirnblutung, vor Attentaten, Amokläufen, Spülmittelresten, vor Lebensmittelvergiftungen, Lungenkrebs, Autobahnen, vorm Fliegen, vor dem eigenen Gasherd, dem eigenen Haarföhn.
Einen Ausweg aus dieser angstvollen Situation findet Ada nicht selber. Die unheilvolle Spirale der Angst dreht sich immer schneller. Hilfe muss von aussen kommen. Adas Wohnungs-Vermieter ist es schliesslich, der eine radikale Idee hat. Er stellt Ada seinen Enkel, Juri, an die Seite. Juri soll nun die Wohnung mit Ada teilen. Juri aber ist ganz anders als Ada. Das Experiment gegen die Angst nimmt seinen Lauf. Wie reagieren die beiden unterschiedlichen Charaktere miteinander? Ziehen sich die Beiden an oder stossen sie sich ab? Lassen sich die Angstzustände und Panikattacken auf diese Weise therapieren?
„Und wenn sie da ist, die Angst“, sagte sie, „dann zittert alles, was ich sehe, alles verwackelt, es ist ein Selbstauslöser, den ich nicht steuern kann, ich weiss nicht einmal, wann das alles angefangen hat. Es ist, als hätte ich schon immer einen Wackelkontakt zur Welt.“
„Wurfschatten“, Seite 231.
Juri und Ada testen verschiedene Therapien gegen die Angst aus. Da werden Fische in eine Badewanne gesetzt, da pflanzen sie Gemüse in der Wohnung, da befördern sie eines Tages all den alten Plunder und Gerümpel aus der Wohnung hinunter auf die Strasse. Immer Neues setzen die Beiden in Bewegung. Ob sich die Angst auf diese Weise therapieren lässt? Lassen sich namenlose Ängste überhaupt therapieren?
„Die Wohnung, die ich mir angesehen habe, ist grösser. Wir könnten darin wieder ein Zimmer einrichten für deine Angst, wie für einen Gast oder ein Adoptivkind. Dann kann sie bleiben, so lange sie will.“
Juri im Gespräch mit Ada in „Wurfschatten“, Seite 232.
Das Buch „Wurfschatten“ zeigt, wie man den eigenen Ängsten begegnen kann. Die Autorin erzählt trotz des schwierigen Themas locker, leicht, manchmal sogar heiter und lustig. Dann etwa, wenn die Beiden beschliessen, zusammen mit der Angst eine Reise zu machen, „nach Saragossa oder Texas oder Brindisi, damit sie sich nicht eingesperrt fühlt.“
Text, Fotos und Radiosendung: Kurt Schnidrig