Die Corona-Pandemie treibt im Kulturbetrieb auch seltsame Blüten. Das zeigt das Beispiel des Zürcher Filme-Machers Andreas Benz. In New York und Los Angeles hatte er sich in die Kunst des Drehbuch-Schreibens einführen lassen. Einige seiner Kurzfilme fanden denn auch schon den Weg an die angesagten Filmfestivals. Andreas Benz ist bei verschiedenen Projekten der Constantin-Film beteiligt. Für die Constantin-Film hatte er auch bereits ein Drehbuch mit dem Titel „Mission Weisse Weihnachten“ geschrieben. Grossartige Schauspieler wie Heidi Maria Glössner oder wie Stefan Gubser hätten in dieser Verfilmung mitspielen sollen. Dann aber kam in diesem Frühjahr die Corona-Krise. Eine Realisierung des Films rückte damit in weite Ferne. Plötzlich war guter Rat teuer. Was tun? Der Filmemacher Andreas Benz entschied sich dazu, das Film-Script zu einem Roman umzuschreiben (Andreas Benz: Weisse Weihnachten. Ein Rentner-Roadtrip in die Berge. Verlag Wörterseh, 202 Seiten).
Vom Drehbuch zum Taschenbuch. Das Umschreiben des Film-Scripts zu einem Roman dürfte dem Filmemacher nicht allzu leicht gefallen sein. Beim Lesen offenbart sich der Autor nämlich zuweilen als Filmemacher. Das braucht nicht nachteilig zu sein, denn er ist sich der Problematik bewusst und spricht sie gar offen an.
„Fünf alte Leute betraten in ihren einfachen, schon etwas zerknitterten Sachen das grosse Geschäft – und wäre das jetzt ein Film, so würde der Regisseur mit einem Zeitsprung gleich nochmals die fünf zeigen, wie sie total verwandelt wieder hinauskämen.“
„Mission Weisse Weihnachten“, Seite 115
Die Story handelt von vier Seniorinnen und Senioren, die im Altersheim Abendrot im Zürcher Oberland leben. Sie nennen sich die vier „Sonnenuntergäng“. Die leise Kritik des Autors an den Vorschriften und an der täglichen Monotonie im Tagesablauf heutiger Altersheime dringt beim Lesen verschiedentlich ins Bewusstsein des Lesers.
„Hast du gemeint, wir gehören zu denen, die in einem öden Altersheim hocken und langsam verrotten?“
Protagonist Hans in „Mission Weisse Weihnachten“, Seite 99
Die vier „Sonnenuntergäng“ möchten ihrer todkranken Kollegin Maria einen letzten Wunsch erfüllen: Nochmals „Weisse Weihnachten“ in den Bergen! Allerdings fehlt es den rüstigen Senioren an allem, vor allem aber an finanziellen Mitteln. So riskieren sie einen Ausbruch aus dem Altersheim. Und weil sie zu Geld kommen müssen, überfallen sie auch gleich eine Bijouterie. Beim risikoreichen Überfall läuft jedoch vieles schief, und statt der „Weissen Weihnacht“ in den Bergen sind die vier nun auf der Flucht vor der Polizei.
„Was mich so ärgert an mir ist die Tatsache, dass wir alle hier eigentlich nichts zu verlieren haben. Das soziale Netz ist doch längst zu unserer Hängematte geworden, aus der wir uns kaum mehr zu erheben wagen.“
Der Senior Luky in „Mission Weisse Weihnachten“, Seite 44
Der Überfall und die Flucht vor der Polizei sollten bestimmt lustig und spassig beschrieben sein. Doch zuweilen bleibt dem Leser das Lachen im Halse stecken, zu ernst ist die Thematik. In einem Film hätte sich der Roadtrip der Rentner möglicherweise auch körpersprachlich und vor allem schauspielerisch überzeugend darstellen lassen, besonders wenn – wie ursprünglich geplant – so hervorragende Akteure wie Stefan Gubser oder Heidi Maria Glössner den Part der Senioren übernommen hätten. Die vier „Sonnenuntergäng“ erleben auf dem Trip an den Genfersee nach Montreux und schliesslich nach Gstaad ihren zweiten Frühling – was eine willkommene Herausforderung für Schauspieler wie Glössner oder Gubser gewesen wäre.
„Ich habe noch so viel Adrenalin in meinen Adern, dass ich seit Jahren zum ersten Mal keine Hüftschmerzen habe… und wenn alles schiefgeht, kann ich im Knast die Story von unserem Überfall schreiben, vielleicht wird das ja ein Bestseller.“
Protagonist Hans in „Mission Weisse Weihnachten“, Seite 95
Die todkranke Maria Gerber, die mit ihrem Wunsch nach „Weissen Weihnachten“ in den Bergen ja eigentlich den Zunder für all den Klamauk auf dem Rentner-Roadtrip liefert, sorgt gelegentlich auch für leise und besinnliche Töne. Dann etwa, wenn sie daran erinnert, was in früheren Zeiten das Weihnachtsfest für das Familienleben bedeutet hatte. Maria erinnert sich, wie sie als Kind jedes Jahr in der Woche vor Weihnachten mit ihrem Vater in den Wald gegangen war. Gemeinsam suchten sie eine Tanne aus, der die Ehre zuteil werden sollte „von einer gemeinen Rottanne zum Christbaum der Familie“ zu werden (S.61). Und Maria weiss noch genau, wie es damals roch, wenn die Mutter „die erste Sorte Weihnachtsgebäck aus dem Ofen holte, meist Mailänderli…“
„Ja, da waren wir immer am glücklichsten… an Weihnachten, in den Bergen. Mit viel Schnee und Schweinebraten mit Kruste“, sagte sie geistesabwesend, während ihr die Tränen über die gefurchten Wangen rannen.
Protagonistin Maria Gerber in „Mission Weisse Weihnachten“, Seite 26
Und heute? „Heute läuft eine Christmas-Playlist auf dem iPhone“, heisst es da, und: „Alles einfach übers Internet.“ Doch die vier „Sonnenuntergäng“ geben nicht auf. Die vier abenteuerlustigen Rentner wollen ihre „Mission Weisse Weihnachten“ zu Ende führen. Für einmal also wird unsere Altersindustrie auf die Schippe genommen, mit ernsthaft-besinnlichen Untertönen allerdings.
Text, Bild und Radiosendung: Kurt Schnidrig