Benedict Wells, 1984 geboren, hat mit seinem sogenannten Coming-of-Age-Roman „Hard Land“ den Abräumer dieses Frühjahrs gelandet. Worauf aber der Erfolg des in Zürich lebenden deutsch-schweizerischen Nachwuchs-Talents zurückzuführen ist, darüber ist sich die Literaturkritik uneins. Da lohnt es sich, etwas genauer hinzuschauen. Benedict Wells hat sich dem Genre der „Coming-of-Age-Romane“ zugewandt. Das klingt doch schon mal „cool“ und modern. Coming-of-Age-Roman! Dabei heisst „to come of age“ auf Englisch ganz einfach nur „mündig, volljährig werden“. In diesem Genre wird uns also vorgeführt, wie Jugendliche altern. Schon klar, wer vom Pubertierenden zum Erwachsenen heranwächst, der erlebt so einiges. Auf den Punkt gebracht, liesse sich sagen: Coming-of-Age-Romane erzählen von Abenteuern und von Prüfungen, die Jugendliche auf ihrem Weg ins Erwachsenenalter zu bestehen haben. Früher gab es dafür den Begriff „Bildungsroman“ oder „Entwicklungsroman“. Aber sowas klingt heute gar nicht „cool“, denn mit „Bildung“ und „Entwicklung“ assoziieren wir unsere Schulzeit, das Pauken von Lernstoff und eine übermässige Beanspruchung unseres Hirns. Aus diesem plausiblen Grund bedient sich die moderne Literaturkritik des angesagten Begriffs „Coming-of-Age-Roman“, wobei sie diesen Begriff aus der Filmsprache abgekupfert hat.
Die Mühen der Adoleszenz sind denn auch das Kernthema in Benedict Wells Roman „Hard Land“. Eigentlich gehört zur Dramatik des Aufwachsens und des Abschieds von der Kinderstube sehr viel mehr, als was uns Benedict Wells in seiner Coming-of-Age-Story ausbreitet. Anstatt sich mit Entwicklungspsychologie abzumühen, versieht der Autor seine Story mit stimmungs- und gefühlsbetonten Girlanden. Das ist zweifellos auch richtig, auch wenn die eigentlichen Themen von Teenagern – in der Story geht es um das Aufwachsen des fünfzehnjährigen Sam – dabei arg zu kurz kommen.
Die Geschichte eines Sommers ist es, die den pubertierenden Sam zum Mann werden lässt. Benedict Wells siedelt seinen Coming-of-Age-Plot in einem fiktiven Universum an, in einem trostlosen Kaff im amerikanischen Missouri. In Grady, so heisst der kleine Ort, lässt uns der Autor eintauchen in die Welt der 1980er Jahre. Sein Protagonist Sam Turner nimmt einen Ferienjob in einem alten Kino an. Es ist Sommer, und die Ereignisse dieses Sommers werden den ungelenken Aussenseiter Sam zu einem erwachsenen Mann werden lassen. Während dieses Sommers findet Sam erstmals echte Freunde. Und er verliebt sich in ein blondes Mädchen namens Kristie. Die Sommerzeit plätschert dahin, bis irgendwann das Schicksal zuschlägt. Es braucht ein einschneidendes Ereignis, das Sam zwingt, erwachsen zu werden.
„Hard Land“ – der Titel des Romans ist mehrdeutig. Das trostlose Leben in dem kleinen Ort Grady ist „Hard Land“. Die Bewohner des Orts entbehren jeglicher Perspektive. Nachdem die Textilfabrik ihre Tore geschlossen hat, sind viele weggezogen. Als „Hard Land“ ist auch die persönliche Situation des heranwachsenden Sam Turner zu interpretieren. Seiner krebskranken Mutter geht es immer schlechter. Dazu kommen die üblichen Verstimmungen und Enttäuschungen, denen sich Heranwachsende zu stellen haben. Die ganze Klaviatur halt zwischen Euphorie und Melancholie. Was positiv auffällt: Der Autor vermag die Sorgen und Nöte der wenigen Jugendlichen vor Ort echt und authentisch einzufangen und wiederzugeben. Das allein allerdings wäre zu wenig. Wohl auch deshalb zündet der Autor ein wahres Feuerwerk an popkulturellen Referenzen aus Film und Musik. Die Verweise auf die Musik der Achtziger, etwa im Stile von Simple Minds, lassen den Leser in Erinnerungen schwelgen. Filmreferenzen wie „Back to the Future“ erheben den Roman zu einer Hommage an die 80’s Coming-of-Age-Filme. „Hard Land“ ist so gesehen auch die frühere (Kinder-)Welt, die man einst verlassen hat, und die jetzt nur noch nostalgisch und schmerzhaft in der Erinnerung besucht werden kann.
Prüfungen auf dem Weg ins Erwachsenenalter haben in der Weltliteratur eine lange Tradition. Was heute als „Coming-of-Age-Roman“ gilt, war früher der „Bildungsroman“ oder „Entwicklungsroman“. Der Prototyp des Bildungs- und Entwicklungsromans in der deutschsprachigen Literatur stammt von Johann Wolfgang von Goethe. Sein Werk „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ (1795/96) handelt davon, wie sich bestimmte charakterliche Anlagen, häufig im Konflikt mit äusseren Umständen, herausbilden. Der junge Protagonist erfährt eine tiefe Prägung durch seine Umgebung und reift schliesslich zu einer moralisch und sittlich gefestigten Persönlichkeit heran. Bereits Wieland hatte mit seinem „Agathon“ im Jahr 1766 das Genre des Entwicklungs- und Bildungsromans eingeläutet. Ausgebaut und ergänzt wurde das Genre später von Tieck, Novalis, Gottfried Keller und Adalbert Stifter, die nicht selten den Entwicklungsprozess des Protagonisten scheitern liessen. In Frankreich befeuerte Rousseaus „Émile“ (1762) das Genre.
Handlungsverläufe wie in „Hard Land“ wirken auf uns alle vertraut. Alle sind wir auf dem Weg zum Erwachsenwerden schon mal gestrauchelt, sind unter die Räder gekommen und haben uns schliesslich gefangen. Wie wird aus dem hässlichen Entlein ein wunderschöner Schwan? Der uralte Märchenstoff liegt allen alten und neuen Geschichten über das Heranwachsen zugrunde. Wir alle sind betroffen. Auf dem Weg zum Erwachsenwerden haben wir alle Ähnliches durchgestanden. Wohl auch deshalb wirken „Coming-of-Age-Storys“ wie „Hard Land“ auf uns vertraut und sprechen uns an. Sie erinnern uns an eine Zeit, in der man gekämpft und geliebt hat, Neuland entdeckt und sich schliesslich ins Erwachsensein verabschiedet hat.
Text und Bild: Kurt Schnidrig