Kennen Sie, liebe Leser*innen, diese Geschichte? Bei einer Reise ans andere Ufer seiner Insel findet Robinson Knochenreste von Menschen. Kannibalen! Voller Angst verbringt er schlaflose Nächte. Er tüftelt an Verteidigungs- und Angriffsplänen herum, er sucht nach einer geeigneten Anhöhe, von der aus er einen Angriff auf die Menschenfresser starten könnte. Von seinem Hügel aus muss Robinson dann eines Tages mit ansehen, wie sich die Kannibalen auf ihren Kanus seiner Insel nähern. Sie töten denn auch sogleich einen ihrer Gefangenen und verspeisen ihn. Dem zweiten Gefangenen gelingt jedoch die Flucht vor dem Kochtopf. Verfolgt von den Menschenfressern, rennt er ins Unterholz auf Robinsons Insel. Robinson greift zu seinem Gewehr und erschiesst einen der Kopfjäger. Der Verfolgte nähert sich Robinson und macht ihm deutlich, wie unendlich dankbar er ihm für die Rettung ist. Er stellt sich zum Dank unter seinen Befehl. Robinson tauft seinen neuen Gefährten und Diener „Freitag“, weil er ihm an diesem Tag das Leben gerettet hat. Jedes Ansinnen Freitags, den toten Kannibalen aufzuessen, beantwortet Robinson jedoch mit tiefster Abscheu. (Aus: „Robinson Crusoe“ von Daniel Defoe, erschienen 1719).
Das Genre der „Robinsonade“ hat sich in Literatur, Film und Gesellschaft in verschiedener Form etabliert. In „Lord of the Flies“ ersetzt William Golding die Kannibalen durch ein geheimnisvolles Monster. Eine moderne Robinsonade ist die amerikanische Fernsehserie „Lost“, die sich stark von William Goldings „Der Herr der Fliegen“ inspirieren lässt. Der Streamingdienst Netflix bearbeitete das Genre vor zwei Jahren erfolgreich mit der Miniserie „The I-Land“. Doch die Kannibalen, die Menschenfresser und Kopfjäger, die gibt es auch in unserer so aufgeklärten und digitalen Welt heute noch. Kopfjagden, bei denen der Schädel als Siegertrophäe erbeutet wird, werden immer noch in sogenannten „Steinzeit-Kulturen“ durchgeführt. So etwa bei Naturvölkern in Südostasien, in Melanesien und im nordwestlichen Tiefland von Südamerika. Die Kopfjäger sind der Meinung, dass die Lebenskraft aus dem Kopf des Opfers auf den Kopfjäger übergehen werde. Bei Naturvölkern wird zudem der Brauch gepflegt, dass ein männliches Mitglied der Gesellschaft einen Kopf erbeuten muss, um überhaupt als Mann zu gelten. Eine Heirat ist bei Naturvölkern oft erst dann möglich, wenn der zukünftige Partner ein paar erbeutete Schädel vorweisen kann.
Die einheimischen „Geweih-Jäger“, die sich in unseren Breitengraden herumtreiben, sind da bedeutend harmloser. Sie machen Jagd auf das Hirschhorn. Das Geweih wird auch heutzutage noch gern als Trophäe zu Hause oder in der Jagdhütte aufgehängt. Das Hirsch-Geweih findet jedoch auch noch anderweitig Verwendung. So sind traditionell die Knöpfe an den Trachtenkleidern, etwa an Lederhosen, aus Hirsch-Geweih gefertigt. Früher fand das Rothirsch-Geweih in pulverisierter Form auch Verwendung bei der Zubereitung von Medikamenten. Aus Hirschhorn brannte man die Hirschhorn-Asche, die in der Küche als „Backtriebmittel“, vergleichbar mit Hefe, zum Einsatz kam. Als Amulett an einer Kette um den Hals gehängt, soll ein Stück Hirschgeweih zudem seine magischen und heilenden Kräfte entfalten.
In der Wirtschaft finden sich die Kopfjäger als „Headhunter“. Zum Glück sind die Headhunter lediglich in übertragener Bedeutung „Kopfjäger“. Ein „Headhunter“ sucht im Auftrag von Unternehmen nach Fach- und Führungskräften. Ein „Headhunter“ vermittelt Personal. Für viele Firmen ist es bedeutend einfacher, diesen Service auszulagern, besonders wenn es um die Jagd auf absolute Top-Kräfte geht. Das Geschäft mit den Headhuntern boomt. Ein Headhunter kommt zum Einsatz, wenn eine Kaderstelle besetzt werden soll, die im Jahr ein Honorar von mindestens 160’000 Euro generiert. In diesem Fall vermittelt das Unternehmen in einem Briefing an die Headhunter das Kandidaten-Profil. Die Headhunter machen sich alsdann auf die Jagd nach Wunsch-Kandidaten. Den Headhuntern stehen dabei eigene Netzwerke, aber auch bereits bestehende Netzwerke wie Linkedin, Xing, oder Facebook zur Verfügung. Moderne Headhunter setzen heutzutage auch schon auf IT-Tools wie die Künstliche Intelligenz. In der Regel hat es ein Headhunter auf Kandidatinnen und Kandidaten abgesehen, die in einem festen Arbeitsverhältnis stehen. Diese gilt es nun von einem Jobwechsel zu überzeugen. Das „Headhunting“ ist eine lohnende Beschäftigung. Als Honorar steht dem Headhunter in der Regel zwischen einem Viertel und einem Drittel des Jahresgehalts zu, das der Kadermitarbeiter, den er dem Unternehmen zugeführt hat, künftig erhält.
Text, Foto und Radiosendung: Kurt Schnidrig