Ordensmann und Zen-Meister Niklaus Brantschen empfiehlt die Nähe zur Natur. In den Bergen habe er gelernt zu atmen, und in der Natur liesse sich in unserem hektischen Leben die nötige Ruhe finden. Als Zen-Meister wünscht er sich zudem mehr Sinn für Spiritualität. Wir müssten das Staunen wieder lernen, rät Brantschen, und wir müssten alle unsere Sinne wieder öffnen für das Mystische und für das Geheimnisvolle. Das scheint für ihn das Wichtigste zu sein, wichtiger noch als die Religion.
„Wir sind in einer nachchristlichen Ära“, schreibt Niklaus Brantschen in seinem Buch „Gottlos beten – eine spirituelle Wegsuche“. Der Jesuit und Zen-Meister stellt sich darin auch vielen unbequemem Fragen. Wo ist Gott in Krisen und in Katastrophen? Warum lässt Gott es zu, dass uns Seuchen und Krankheiten heimsuchen? Warum schweigt Gott zu alledem? In seinem Buch unternimmt Brantschen den Versuch, gängige Muster in unserem Denken und Verhalten aufzudecken und zu hinterfragen. Und nicht nur das. Unser Leben sei voller Rituale und Riten, die mittlerweile zu Formeln erstarrt und sinnentleert sind, und die es aufzubrechen gelte, meint Brantschen.
Dem Mystischen und Geheimnisvollen mehr Raum geben, dies ist ein gangbarer Weg, den Brantschen aufzeigt. Wir leben in einer Welt, in der alles erklärbar ist, in der die Technisierung und Digitalisierung weit fortgeschritten ist. In einer derart technokratisch ausgerichteten Welt habe das rein Kognitive den Glauben verdrängt, glaubt Brantschen. Als Zen-Meister wünscht sich Niklaus Brantschen vermehrt spirituelle Erlebnisse und einen bedingungslosen Glauben herbei, Elemente, die zum Leben gehören, die aber nicht wissenschaftlich erklärbar sind. Das Streben nach Objektivität und nach der Erklärbarkeit aller Dinge steht dem Mystischen und der Spiritualität im Weg. Wer aber wieder mehr Sinn entwickelt für das Mystische und für das Geheimnisvolle, der könnte auch wieder das Beten lernen und das Sprechen mit Gott, ist Brantschen überzeugt. Den Weg dazu sieht er in einer Verbindung von unserem christlichen Glauben mit der östlichen Weisheit, insbesondere mit dem Buddhismus.
Von Niklaus Brantschen zum Dalai Lama. Bereits vor fünf Jahren hatte der Dalai Lama ein schmales Büchlein herausgegeben, eine Botschaft an die Welt. Darin verbreitete er ein ähnliches Gedankengut wie Niklaus Brantschen in seinem aktuellen Buch.
„Ich denke an manchen Tagen, dass es besser wäre, wenn wir gar keine Religionen mehr hätten. Alle Religionen und alle Heiligen Schriften bergen ein Gewaltpotenzial in sich. Deshalb brauchen wir eine sekuläre Ethik jenseits aller Religionen.“
Der Dalai Lama in „Ethik ist wichtiger als Religion“
Im „Appell des Dalai Lama an die Welt“ präzisiert der Dalai Lama, das Wissen und die Praxis von Religionen sei natürlich hilfreich, aber das reiche in unserer modernen Zeit nicht mehr aus. Dies würden viele Beispiele in aller Welt heute immer deutlicher zeigen. Die Religionen seien zudem gefährlich, weil sie ein Gewaltpotenzial in sich bergen. „Dies gilt für alle Religionen, selbstverständlich auch für das Christentum und den Buddhismus. Im Namen von Religionen werden Kriege geführt, sogar „Heilige Kriege“, gesteht der Dalai Lama offen ein.
Seit Jahrtausenden wird Gewalt im Namen von Religionen eingesetzt und gerechtfertigt. Religionen waren und sind oft intolerant. „Deshalb sage ich, dass wir im 21. Jahrhundert eine neue Ethik jenseits aller Religionen brauchen. Ich spreche deshalb von einer säkularen Ethik, die auch für über eine Milliarde Atheisten hilfreich und brauchbar ist“, resümiert der Dalai Lama. Wesentlicher als Religion sei unsere elementare menschliche Spiritualität. „Das ist eine uns Menschen angelegte Neigung zur Liebe, Güte und Zuneigung – unabhängig davon, welcher Religion wir angehören.“ An diesem Punkt treffen und ergänzen sich die Worte und Schriften des Dalai Lama, des religiösen Führers der Tibeter, und die Worte und Schriften des Niklaus Brantschen, des buddhistischen Zen-Meisters und katholischen Ordensmanns, aus dem kleinen Dörfchen Randa im Mattertal.
Text, Foto und Radiosendung: Kurt Schnidrig