Ingeborg Bachmann-Preisträgerin mit einem „Stundenbuch der Liebe“

Jeden Tag des Neuen Jahres so leben, als wäre es der letzte Tag. Dies eine Botschaft aus dem Roman „Der heutige Tag“ von Helga Schubert. (Symbolbild: Kurt Schnidrig)

Eine Geschichte, die zu Beginn eines neuen Jahres gefragt ist? Davon gibt es viele. Es sind dies Geschichten, die vom Versöhnen erzählen, die von Frieden künden oder die für mehr Achtsamkeit den Mitmenschen gegenüber plädieren. Achtsamkeit auch gegenüber Menschen, die uns nahestehen, auf die wir tagtäglich angewiesen sind, deren Dienstleistungen wir während des Jahres mit grosser Selbstverständlichkeit in Anspruch nehmen.

Liebe und Mitgefühl, zwei der wichtigsten Themen, hat Helga Schubert in ihren neuen Roman „Der heutige Tag“ einfliessen lassen. Das Buch trägt den Untertitel „Ein Stundenbuch der Liebe“. Stundenbücher waren im Mittelalter auch Gebetsbücher für Gläubige, gegliedert anhand der Stunden eines Tages. In diesem Sinn lässt sich Schuberts Roman lesen als eine Art Anleitung zur Nächstenliebe, als Plädoyer für gegenseitige Achtung und gegenseitigen Respekt.

Autorin Helga Schubert erzählt von einem älteren Ehepaar. Vieles haben Mann und Frau zusammen erlebt, Freud und Leid, in guten und in schlechten Zeiten. Immer haben die Beiden zueinander gehalten. Doch nun ist die Zeit gekommen, sich der gegenseitigen Pflege und Vorsorge zu widmen. Den letzten Lebensabschnitt wollen sie zusammen gehen, zusammen durchleiden und auch zusammen durchstehen. „Bis dass der Tod uns scheidet“, so, wie sie es sich versprochen haben. Die Autorin erzählt uns davon in wundervoll poetischen Szenen. Es sind dies Szenen, die berühren und ans Herz gehen.

Als der Mann erkrankt und dement wird, ist er auf die Pflege seiner Frau angewiesen. Und trotzdem ist jeder Tag ein Geschenk. Jeder Tag ist einzigartig.

„Das ist übrig nach unseren Jahrzehnten: Hände, die sich aneinander wärmen. Ich gab ihm unter der Decke die Hand und drückte sie. Und er drückte meine Hand. Wie ein Versprechen. In guten und in schlechten Zeiten. Aber es sind gar keine schlechten Zeiten.“

Aus: „Der heutige Tag“ von Helga Schubert

Was kann ein Roman, was kann ein Buch uns Lesenden Schöneres und Wertvolleres mitgeben als eine solche Geschichte? Vielleicht dies: Jeden Tag des Jahres so leben, als wäre es der letzte Tag. „Carpe diem“, wörtlich: „Pflücke den Tag“, ist eine Sentenz des römischen Dichters Horaz. „Carpe diem – Pflücke den Tag“: Eine Aufforderung an uns alle, die knapp bemessene Lebenszeit heute zu geniessen und nicht Wichtiges auf den nächsten Tag, auf später, zu verschieben. Weil „später“, das ist nicht selten zu spät.

Hören Sie den Podcast aus der Sendung Literaturwälla zum Roman „Der heutige Tag“. (Quelle: rro / Kurt Schnidrig / Tiziana Imoberdorf)

Text, Bild und Radiosendung: Kurt Schnidrig