Gestern Mittwochabend, 10. Juni, hatte der Film „Der Läufer“ im Schweizer Fernsehen SRF Premiere. Der Spielfim basiert auf der wahren Geschichte des Waffenläufers Mischa Ebner, der zum Mörder wurde. Das Buch dazu ist ebenfalls bereits erschienen: „Tödlicher Schatten“ von Jürg Mosimann. Der spannende Krimi erzählt die Hintergründe und legt dar, was die Ermittlungen zu diesem Fall zutage gefördert haben.
Ein Mordfall erschüttert das Dorf Niederwangen. Eine 50-köpfige Sonderkommission der Kantonspolizei Bern suchte im Jahr 2002 fieberhaft nach dem „Mitternachtsmörder“. Der geheimnisvolle Unbekannte hatte wahllos Frauen jeglichen Alters überfallen und sie dabei lebensgefährlich verletzt. Eine Maturandin wurde in der Nacht auf den 1. August 2002 erstochen. Im Buch von Autor Jürg Mosimann ermittelt der kauzige Dezernats-Chef Wüthrich. (Jürg Mosimann: Tödlicher Schatten. Wüthrich ermittelt. Werd&Weber Verlag 2017, 180 Seiten.) Die echten Fahnder waren vor 18 Jahren bis aufs Äusserste gefordert. Autor Jürg Mosimann ist der frühere Polizeisprecher im Fall des „Mitternachtsmörders“ Mischa Ebner. Das Leben des erfolgreichen Waffenläufers und „Mitternachtsmörders“ Mischa Ebner wurde 2018 verfilmt. Regie führte Hannes Baumgartner und als Schauspieler sind Max Hubacher als Jonas (Mischa Ebner) und Annina Euling als dessen Freundin Simone zu erleben.
„Es gibt keine Entschuldigung. Weder der Sport, noch die Arbeitszeiten oder die Einsamkeit, in der ich oft gelebt habe, sind verantwortlich für das, was geschehen ist.“
Mischa Ebner
Im November 2002 gewährte der „Mitternachtsmörder“ Mischa Ebner dem „Sportmagazin“ ein bewegendes Interview. Der Waffenläufer hatte drei Monate vor diesem Interview eine 20-jährige Maturandin mit einem Messer tödlich verletzt. Der damals 27-Jährige gehörte zu den besten Waffenläufern der Schweiz. Alle waren von Mischa angetan, er galt als ein umgänglicher und sympathischer Kollege. Hauptberuflich arbeitete Mischa als Koch, von den Gästen hochgelobt genauso wie von seinen Chefs. Auch Mischas Freundin schwärmte von der harmonischen Beziehung mit Mischa Ebner. Seine sportlichen Ziele zu erreichen bedeutete ihm sehr viel. Der Sport habe ihm etwas gegeben, woran er sich habe halten können, sagte er.
Ein Kindheits-Trauma. Mit 23 Jahren gewann Mischa Ebner den legendären Frauenfelder Waffenlauf. Es schien, als habe er die höchste Sprosse seiner Karriere erklommen. Doch nur wenige Tage später schied sein Bruder freiwillig aus dieser Welt. Mit ihm zusammen hatte Mischa eine verpfuschte Kindheit erlebt.
„Ich bedauere sehr, was passiert ist. Die Verantwortung trage ich allein als Mensch und auch ich allein muss dafür gerade stehen.“
Mischa Ebner
Drei Wochen nach dem Mord an der Maturandin wurde Mischa Ebner festgenommen. Er gestand freimütig weitere 29 Delikte. Schliesslich sah er nur noch einen Ausweg. Am 24. November 2002 erhängte er sich mit einem Leintuch am Zellenfenster des Gefängnisses.
Der Film „Der Läufer“ basiert auf dieser tragischen Geschichte. Regisseur Hannes Baumgartner ist es gelungen, Hintergründe aufzuzeigen, die dazu geführt haben, dass aus einem der besten Waffenläufer unseres Landes ein Mörder wurde. Der Film greift in Form von Regressionen und Flashbacks auf die Kindheit zurück. Die Buben Jonas und Philipp Widmer – so heissen sie im Film – wurden ihren Eltern entzogen. Die elternlose Kindheit raubte ihnen beinahe die Sprache. Im Film besucht Jonas oftmals den Friedhof, sucht nach Spuren seiner Eltern. Später muss Jonas damit leben, dass er zu Frauen keinen Zugang findet, seine Freundin Simone ist da eine Ausnahme. Als er einer Frau, die gestürzt ist, zu Hilfe eilt, wird er von ihr als „Arschloch“ bezeichnet. Solche und ähnliche Vorfälle lassen in Jonas den Entschluss reifen, Frauen mit Hilfe von Zettelchen an öffentlichen Anschlagsbrettern anzulocken. Nachts raubt er Frauen die Handtaschen und macht sich über deren Inhalt her. Als Freundin Simone eine dieser Taschen im Abfalleimer findet, gerät die Beziehung ins Wanken.
„Ich konnte durch den Sport viel überschüssige Energie abbauen. Rückblickend habe ich dadurch wohl auch meine Probleme verdrängt.“
Mischa Ebner, im Film als Jonas
Harte Trainings auf der Bahn und im Wald verhindern, dass sich Jonas seinen Traumata stellen und einen Therapeuten aufsuchen kann. Eindrücklich verfilmt sind die ehrlich-naiven Reaktionen des Mörders Jonas, als er in der Zeitung lesen muss, wie die Journalisten sein unrasiertes Gesicht als Teil der Personenfahndung durchgeben. Ein Zeichner hatte sein Konterfei mit Barthaaren versehen. Er schreibt entrüstet an die Zeitung, dass er sich sehr wohl täglich rasiere. Obschon Jonas zwanghaft versucht, an seine früheren Leistungen anzuknüpfen, verliert er sich in seiner Neurose. Sein altes Leben, insbesondere seine Kindheit, holt ihn immer wieder ein. Der Film endet konsequent und abrupt mit einem „Filmriss“. Während Jonas wegrennt und sich schwankend im Wald verirrt, wird es schwarz auf der Leinwand. Ein „Filmriss“ mit symbolischer Bedeutung.
Text und Foto: Kurt Schnidrig