Storys über Haarsträubendes aus den Altersheimen stürmen die Bücher-Hitparaden. „Geister sind auch nur Menschen“, ein Stück von Katja Brunner, ging soeben im Schauspielhaus Zürich über die Bühne. Katja Brunner beschreibt darin die Welt der alten Menschen und kritisiert die aktuelle Alten-Betreuung, die vor allem auf Freiwillige angewiesen sei. Und auch die Freiwilligen, die sich in der Alten-Betreuung engagieren, seien selbst alte Leute, schreibt Brunner. Das Allerschlimmste für die alten Menschen aber sei, dass diese das Gefühl hätten, der Allgemeinheit zur Last zu fallen.
Katja Brunner schreibt deftig und mit spitzer Feder. Das hat durchaus System, denn sie möchte den alten Menschen eine Stimme geben, so, dass wir ihre Not, ihre Träume und ihre Trauer mitbekommen. Katja Brunner möchte mit ihren Geschichten ankämpfen gegen die Sprachlosigkeit in den Altenheimen. Sie zeigt, wie die alten Menschen Demütigungen zu ertragen haben, und sie schreibt von den Zumutungen, die das Alter mit sich bringt. Die Autorin stellt die aufgeblähte Altersindustrie an den Pranger, ob zu Recht oder zu Unrecht, das bleibe dahingestellt. Was man den Autorinnen, die über die misslichen Zustände in den Altersheimen schreiben, zugute halten muss: Sie gehen von Einzelfällen aus, die genau recherchiert sind. Dennoch darf man diese emotionale Altersheim-Literatur nicht verallgemeinern.
Den Bücher-Boom über die Rebellion in Altersheimen ausgelöst hat Jonas Jonasson, ein schwedischer Journalist und Schriftsteller. Mit seinem Buch „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ setzte er eine Rebellion der Alten in den Heimen in Gang, die seither nicht mehr abebben will. Die Story von Allan Karlsson, der sich an seinem 100. Geburtstag entschliesst, aus dem Altersheim abzuhauen, bewegte eine internationale Leserschaft. Der 100-Jährige steigt aus dem Fenster im Parterre und geht zur Bushaltestelle, löst sich ein Ticket, mit dem er möglichst weit weg kommt und wartet auf den Bus. Nun begibt sich Allan Karlsson auf eine Abenteuer-Reise, die es in sich hat. Der Road-Movie schreckt nicht zurück vor Gangster-Episoden. Der Hundertjährige findet sich in zwielichtiger Gesellschaft wieder, die buchstäblich auch über Leichen geht.
Bei uns hat Blanca Imboden mit „heimelig“, ihrem Altersheim-Roman, den Steilpass aus Schweden aufgenommen. Dabei stützte sie sich auf die Recherchen ihrer Mutter. Diese hatte der Autorin erzählt, wie sehr Sparprogramme, Personalnotstand und Reglementierungen das Leben der Pflegenden erschweren. Das Buch „heimelig“ von Blanca Imboden will jedoch keine Kritik üben an den Pflegenden, sondern am System. Wenn alle am Limit sind, wenn gespart wird wie besessen, dann schleichen sich eben Fehler ein. Langeweile und Bevormundung sind die hauptsächlichsten Fehler, welche die Altersheim-Literatur aufdeckt.
Die Autorinnen nehmen kein Blatt vor den Mut. Altersheime werden bei Blanca Imboden zu „Abkratzresidenzen“. Meistens sind die alten Menschen gesundheitlich noch recht gut beisammen, doch ist es die Langeweile, die sie an ihre Grenzen bringt. Nicht selten werden deshalb die alten Menschen zu Rebellen – zumindest in der Romanliteratur. Das Altersheim wird zum „Runzelsilo“, zum „Mumienbunker“ oder zur „Seniorensammelstelle“. Blanca Imbodens Altersheim-Roman „heimelig“ trägt den Untertitel „Warum Nelly aus dem Altersheim spazierte und nie mehr wiederkam“ – der Untertitel bringt die Problematik bereits treffend auf den Punkt.
Text, Fotos und Radiosendung: Kurt Schnidrig