Die aktuelle Pferde-Belletristik vermittelt eine kleine Revolution im Reitstall. Nach Jahren der Dominanz von jungen Frauen in den Pferdeställen, richten sich die neuen Pferdebücher nun auch an junge Männer. Auch der Umgang mit den Pferden hat sich gewandelt. Pferdeflüsterer sind angesagt, die auf Kommunikation mit dem Pferd setzen, es ist gar die Rede von einer eigenen Pferdesprache.
Bücher über Freundschaften mit Pferden boomen. Pferdebücher sind angesagt. Waren bis anhin die Protagonistinnen in den Pferde-Storys ausschliesslich junge Frauen, lassen einige der Autorinnen von neuen Pferdebüchern nun demonstrativ auch zumindest einen jungen Mann inmitten der verschworenen Girlie-Pferde-Gemeinschaft auftreten. Dies lässt sich feststellen sowohl für Bilderbücher als auch für die Pferdeliteratur, die sich an Erwachsene richtet.
Für die jüngsten Pferde-Fans ist soeben das Bilderbuch erschienen mit dem vielsagenden Titel „Allein unter Mädchen“ (Tulipan-Verlag). Der Protagonist heisst Theo. Die bisherige Pferdeliteratur war meist nach dem gleichen Muster gestrickt: Eine junge Frau gewinnt auf Umwegen das Vertrauen eines Pferdes, zu guter Letzt erfüllt sich ihr Traum und sie wird glückliche Besitzerin des angehimmelten Pferds. Bei Theo aus dem Bilderbuch „Allein unter Mädchen“ ist das anders. Theo hat sich nämlich mit der versteckten Absicht „allein unter Mädchen“ begeben, um sich auf diese Weise eine Freundin zu erobern. Den Rössern kommt in der neuen Pferdeliteratur mit Jungs in der Hauptrolle also bloss eine Alibi-Funktion zu. Die Wirklichkeit in unseren Reitställen sieht anders aus. In den Reitställen halten immer noch vorwiegend junge Frauen die Zügel in den Händen.
Das Pferdeflüsterer-Wissen, in Form von einer eigenen Kommunikation zwischen Pferd und Reiterin, auch bekannt als „Pferdesprache“, stammt grösstenteils aus der Literatur, aber nicht nur. Von Bestseller-Autorin Juli Zeh ist soeben das vielbeachtete Buch erschienen mit dem Titel „Socke und Sophie. Pferdesprache leicht gemacht“ (dtv-Verlag). Die Autorin verrät darin tatsächlich ein gerüttelt Mass an Pferdeflüsterer-Wissen. Dem Buch lässt sich viel Wissenswertes entnehmen zum richtigen Umgang mit dem Fluchttier Pferd. Besonders auch die Körpersprache von Pferden ist ein Schwerpunkt-Thema. Der artgerechten Haltung und Fütterung sind eigene Kapitel gewidmet. Bei der Protagonistin Sophie überwiegt die Freude und der Spass an der sogenannten „Bodenarbeit“. Das machohafte „Western-Reiten“ kommt darin schlecht weg. Wer allerdings selbst regelmässigen Umgang mit Pferden pflegt, dem kommt Sophie etwas allzu besserwisserisch daher. Das Buch „Socke und Sophie“ liest sich wie ein Märchen, denn Autorin Juli Zeh lässt nicht nur Sophie zu Wort kommen, sondern auch ihr Pferd Socke. Ein sprechendes Pferd wirkt zwar lustig, aber nicht besonders lebensecht.
Die Pferdeflüsterer gibt es wirklich! Sie sind keineswegs eine Erfindung der Traumfabrik Hollywood und sie entstammen auch nicht der romantisierenden Girlie-Reitstall-Szene. Der Reiter-Verein im Reitstall Cavallo in Baltschieder beispielsweise praktiziert die Parelli-Philosophie. Wer „Parelli“ kann, der ist im wahrsten Sinn des Wortes ein Pferdeflüsterer. „Parelli Natural Horsemanship“ stellt den natürlichen Umgang mit dem Pferd in den Vordergrund. Wer als Pferdebesitzer der Parelli-Philosophie nachleben will, der muss sich eingehend mit dem Wesen und dem Charakter seines Pferds auseinandersetzen. Pferde sind Fluchttiere, deshalb verfügen sie über ein sehr eigenes und typisches Verhalten. Eine bestens funktionierende Kommunikation zwischen Mensch und Pferd ist deshalb oberstes Ziel. Es handelt sich dabei um eine Kommunikation, die keineswegs nur mit Hilfe von Zügel, Sporen und Peitsche funktioniert. Es geht vielmehr darum, sich mit dem natürlichen Verhalten des Pferds vertraut zu machen und dieses Wissen in gegenseitiger Kommunikation anzuwenden. Sowas lässt sich üben! Spielerisch lässt sich Vertrauen und Respekt zum Pferd, als dem verbeinigen Freund, aufbauen.
Die Radiosendung zur neuen Pferde-Belletristik wurde am Sonntag, 23. Januar, im Live-Programm von rro ausgestrahlt.
Text, Fotos und Radiosendung: Kurt Schnidrig