Im Lyrik-Band „Längst fällige Verwilderung“ finden sich poetische Texte und Gedichte. Die lyrischen Texte helfen uns im Umgang mit einer Welt, die nach langen Monaten der Pandemie zu allem Überfluss auch noch zu einer kriegerischen geworden ist. Wie kommen wir heil aus der Eiszeit eines Winters, der sich in unseren Herzen eingenistet hat? Wie lässt sich unsere Wut „enteisen“? Wie können wir die Liebe in Krisenzeiten retten und bewahren? Die lyrischen Texte von Simone Lappert geben wunderbar „verwilderte“ Antworten auf derartige Fragen.
Lesen als Therapie. Wie lässt sich durchs Lesen von Texten unsere Gefühlswelt wieder ins Lot bringen? Indem wir die erträumte und ideale Welt in unser Bewusstsein holen, schlägt Simone Lappert in ihren Texten vor. Beim Lesen ihres Lyrik-Bands sind wir zuerst noch buchstäblich im Stillstand. Eine winterliche Szenerie umgibt uns. Der Körper ist erstarrt und vereist. „Ich wehre mich nicht, ich roste“, heisst es in einem ihrer Texte. Deshalb gilt es, eine idealisierte Welt in unser Bewusstsein zu holen. Dies gelingt, indem wir zusammen mit der Dichterin und mit ihren Texten träumen. Wir träumen beispielsweise von einem hellen und warmen Sommertag, „in dem alles nach innen wuchs“. In einem ihrer Texte fällt der Satz: „Alles, was den Frost überlebt, schmeckt süss.“ Da glimmt sehr viel Hoffnung auf in Lapperts Texten, dazu auch Zuversicht und Vertrauen darauf, dass alles gut wird.
Im Roman „Der Sprung“ hatte Simone Lappert vor einem fragilen Gleichgewicht unserer Gegenwart gewarnt. Anlässlich der Buch-Präsentation im Basler Volkshaus stand sie am Bühnenrand und es schien, als würde sie den „Sprung“ aus ihrem gleichnamigen Roman nun gleich nachvollziehen. Frei rezitierte sie aus ihrem Roman die titelgebende Szene: Eine Frau steht auf dem Dach eines Hauses und weigert sich, herunterzusteigen. „Spring doch!“, rufen ihr erboste Passanten zu. Und eine Zuschauerin versteigt sich sogar zur bitterbösen Aufforderung: „Die da oben sollte man erschiessen!“ Warum lockt eine dramatische Szene so viel schaulustiges Volk an? Warum zücken viele sogar ihr Handy, um eine menschliche Tragödie zu fotografieren und zu filmen? Das sind Fragen, die Simone Lappert in ihrem Roman aufgreift und verarbeitet. Es handle sich dabei um ein altbekanntes Phänomen in unserer Kulturgeschichte, erklärt uns die Autorin. Bereits die Gladiatorenkämpfe im Alten Rom hätten viel schaulustiges Volk angelockt, später auch die Hexenverbrennungen. Das Volk giert nach dem Schrecklichen und geilt sich am Unglück der Mitmenschen auf.
Eine faszinierende Autorin. Im Gespräch mit Simone Lappert klären sich auch noch die letzten Fragen, die mich beim Lesen beschäftigt haben. Warum bietet die Autorin kaum Lösungen an? Sie möchte es bei der „Störung“ belassen, sagt sie, „ich möchte die Störung nicht stummschalten“. Die störenden Fragen sollen die Lesenden weiterhin beschäftigen: Warum löst ein Mensch in einer tragischen Situation sowas aus? Warum reagieren Menschen oftmals so ausgesprochen menschenfeindlich? Simone Lapperts Bücher ähneln „Wimmelbüchern“. Es wimmelt darin von Fragen, die uns alle beschäftigen sollten. So gesehen ist auch ihr neuster Lyrik-Band eine Frage- und Auslegeordnung.
Die Hoffnung stirbt zuletzt. Immer geht es bei Simone Lappert auch um die Sehnsucht nach Selbstbestimmung in einer fragilen Gegenwart. Die Autorin erinnert uns Lesende tröstlich daran, dass es sich immer lohnt, auf den Sommer zu warten, weil nach dem Frost die süssesten Früchte gedeihen. Diese Metapher gilt uneingeschränkt auch für unser Leben. Die Autorin plädiert für mehr Sensibilität, dafür, dass wir unsere Augen, unsere Ohren und unser Herz aufsperren und bereitmachen für alles Wundervolle und Zauberhafte, das es auf unserem Planeten trotz allem immer noch gibt.
Text, Fotos und Radiosendung: Kurt Schnidrig