Seine spektakulären Forschungs-Ergebnisse präsentierte Martin Monsch in Buchform in der Briger Buchhandlung ZAP*. Lesen Sie dazu auch meinen Blog-Beitrag vom 23. März 2022. Vor seinem Auftritt nahm sich Martin Monsch viel Zeit, um rro und meinem rro Blog Literatur kenntnisreich Red und Antwort zu stehen. Das ungeschnittene Live-Interview, das ich mit Martin Monsch geführt habe, finden Sie untenstehend in voller Länge.
Zur Erinnerung: Im Jahr 1911 begab sich J.R.R. Tolkien im Alter von 19 Jahren auf eine abenteuerliche Reise durch das Berner Oberland und das Wallis. Schwer bepackt führte ihn seine Reise von Interlaken her über die hohen Pässe ins Wallis. Dabei holte er sich mannigfache Inspirationen für seinen Welt-Bestseller „Der Herr der Ringe“. Mehr als fünfzig Jahre später beschrieb Tolkien in Briefen an seinen Sohn Michael, wie stark ihn die Reise geprägt hatte. Bilbos Reise im „Hobbit“ von Bruchtal über das Nebelgebirge basiere auf seinen eigenen Abenteuern im Jahr 1911, ist aus Tolkiens Briefen an seinen Sohn herauszulesen. Darin nannte Tolkien auch konkrete Inspirationsquellen wie etwa das Silberhorn.
Martin Monsch fragte sich nun: Ist dies vielleicht nur die Spitze des Eisbergs? Auf Tolkiens Spuren machte er sich selbst auf in die spektakuläre Bergwelt und suchte nach weiteren Quellen, die Tolkien inspiriert haben könnten. „Nach und nach offenbarte sich mir in diesen Bergen mit ihren Geschichten, Sagen und Legenden eine lebendige und geheimnisvolle Welt: eine Welt am Ursprung von Mittelerde“, sagt Monsch. Sein Buch mit mehr als 100 farbigen Bildern, dazu mit Wander- und Roadtrip-Vorschlägen, enthält die Ergebnisse seiner Forschungs- und Entdeckungsreise. Das Buch „Die Schweiz in Tolkiens Mittelerde“ erlaubt es den Lesenden, Tolkiens Erlebnisse und seine Eindrücke selbst hautnah in der Schweizer Bergwelt nachzuempfinden.
Die wichtigsten Inspirationsquellen sind etwa das „Nebelgebirge“, das sich als Alpenübergang aus dem Berner Oberland ins Wallis imaginieren lässt. In seinen Briefen berichtet Tolkien aber auch von Erlebnissen, die er in die Geschichte von „Herr der Ringe“ adaptiert hat. Ein Reise-Erlebnis am Aletschgletscher zum Beispiel. Tolkiens Reisegruppe war von einer herabrollenden Steinlawine getroffen worden. Tolkien erwähnt ausdrücklich, dass er dieses Erlebnis in die Herr-der-Ringe-Story hat einfliessen lassen, indem er daraus den Kampf zwischen den Steinriesen konstruierte. Das Oberwallis als Landstrich habe Tolkien zum Land „Rohan“ inspiriert, die Bergwelt rund ums Matterhorn und Arolla zu „Mordor“ und das Gebiet der Kantons-Hauptstadt Sitten zu „Minas Tirith“, glaubt Martin Monsch herausgefunden zu haben.
Wie zuverlässig sind die Quellen, die uns von Tolkiens Inspirationen berichten? Eine berechtigte Frage, wie Martin Monsch zugesteht. Die Briefe an seinen Sohn habe Tolkien erst 56 Jahre nach seiner Schweizerreise geschrieben. „Vieles ist verlässlich, aber Tolkien sagt später auch, dass er sich an die Reise durchs Wallis nicht mehr so ganz erinnern könne“, fasst Martin Monsch zusammen. Grundsätzlich sei die Quellenlage jedoch glaubwürdig und gelte als gesichert.
Braucht Fantasy-Literatur überhaupt einen realen Ort? Peter Jackson hatte für seine Verfilmung von „Herr der Ringe“ keineswegs die Schweiz als Drehort gewählt, sondern Neuseeland. Für ihn sei die Forschung nach Tolkiens Inspirations-Quellen wie eine Schatzsuche gewesen, antwortet Martin Monsch auf diese meine Frage. Die Suche nach Tolkiens Inspirationen sei für ihn ein einzige fantastische Abenteuerreise gewesen. Für ihn habe dieses persönliche Nacherleben im Vordergrund gestanden.
Mein Anliegen ist es, Mittelerde mehr mit den Augen des Erschaffers zu sehen.
Martin Monsch im Gespräch mit Kurt Schnidrig
Neuseeland habe sich für eine Verfilmung von Tolkiens „Herr der Ringe“ gut geeignet, weil die Gegend „offener“ und weniger bekannt sei, weiss Martin Monsch. Die Berge und die Landschaften des Oberwallis seien bereits weltweit in Bild und Text bekannt und deshalb für eine Fantasy-Landschaft wohl weniger gut geeignet. „Aus der Sicht des Erschaffers hätte man jedoch im Wallis und im Berner Oberland drehen müssen“, sagt Monsch.
Das Oberwallis ist „Rohan“ in Tolkiens Mittelerde-Kosmos. Gemäss den Recherchen von Martin Monsch könnte Brig bei Tolkien zur Stadt Edoras geworden sein. Dafür würden eine Vielzahl von Indizien sprechen. Ein gewichtiges Indiz ist der Name Brig, denn dieser soll einer Hypothese zufolge vom keltischen Wort briga stammen, das Hügel oder Hügelfestung bedeutet, ein Detail, das dem Philologen Tolkien sicherlich auffiel, zumal er sich noch fünfzig Jahre später an den Namen erinnerte. Ein weiteres Indiz für eine Beeinflussung von Edoras durch Brig könne man im Namen des rohirrischen Königs erblicken, der die grosse Halle von Edoras erbauen liess, denn dieser hiess Brego. Monsch hält die Ähnlichkeit von Brig und Brego für „bemerkenswert“. Vielleicht habe Tolkien die Stadt Brig auch tatsächlich mit dem Gotenkönig in Verbindung gebracht, vermutet der Autor.
Hatte sich Tolkien im Oberwallis bewusst nach Inspirationsquellen umgesehen? Hatte sich Tolkien bei uns mit Absicht auf die Suche gemacht nach Vorlagen für seinen Welt-Bestseller? Autor Martin Monsch ist eher der Meinung, dass es die Faszination der Berge war, die Tolkien in die Schweiz gelockt hatte. In seiner Jugend habe Tolkien kaum die Möglichkeit gehabt, herumzureisen. Seine Tante habe ihn dann mit auf eine Schweizerreise genommen. „Das war für Tolkien ein riesiges Abenteuer“, weiss Monsch. Für Tolkien seien die Berge Sehnsuchtsorte gewesen. Dazu komme, dass Tolkien bei uns auch Abenteuer pur erlebt habe, etwa Feuerbrände, die 1911 am Glishorn wüteten. „Es waren wohl diese extremen Erfahrungen, die Tolkien veranlasst hatten, den überaus erfolgreichen Fantasy-Wälzer zu schaffen“, fasst Martin Monsch zusammen.
Text, Fotos und Radiosendung: Kurt Schnidrig