Christina Ragettli, Jahrgang 1992, ist in den Bündner Bergen aufgewachsen. Während den Monaten der Pandemie hatte sie die Via Alpina auf ihrer ganzen Länge durchwandert. Es sind dies 2363 Kilometer durch sechs Länder. Zu Fuss von Triest nach Monaco.
„Von wegen“ – so heisst das Buch, das Christina Ragettli über ihre Wanderung geschrieben hat. Die Autorin bindet uns als Leserin oder als Leser direkt ein in das, was sie erlebt hat: Die Freude an der Extremleistung, die physischen und mentalen Unpässlichkeiten, die Begegnungen mit Mensch und Tier in den Alpen. Christina Ragettli kommt aus dem Tourismus, dem Marketing und dem Kommunikations-Bereich. Medienwirksam hat sie in ihrem Buch aufgezeichnet, was sie erlebt hat.
Welche Ratschläge kann Christina Ragettli einem durchschnittlichen Wanderer mit auf den Weg geben? „Das Wichtigste ist sicher, dass man sich gut vorbereitet“, sagt sie im rro-Interview. „Was lässt sich bezüglich der projektieren Wanderung recherchieren? Wie viele Höhenmeter gilt es zu überwinden?“ Auch die Ausrüstung sei wichtig, mahnt die Autorin. „Braucht man besondere Schuhe? Sind vielleicht sogar Stöcke hilfreich?“ Es müsse jedoch drauf geachtet werden, dass man nicht zu viel mitnehme. Der Rucksack dürfe nicht allzu schwer werden. Besonders, wenn man zusätzlich noch ein Zelt verstauen müsse, dürfe man nur noch leichte Dinge mitnehmen: Eine kleine Apotheke, Sonnencrème, einen Sonnenhut. „In meinem Fall mussten auch ein Gaskocher und ein Taschenmesser noch ein Plätzchen im Rucksack finden“, schaut sie zurück.
„In meinem Rucksack war nur noch Platz für ein Miniatur-Necessaire; den Stiel des Zahnbürstchens hatte ich abgesägt, um Platz und Gewicht zu sparen.“
Christina Ragettli im Gespräch mit Kurt Schnidrig
Emotionen, Glücksgefühle, Ängste – ein Gefühls-Chaos? Besonders „eingefahren“ sei ihr die 3. Woche, berichtet Christina Ragettli. „Da war ich durchs Wallis gelaufen und weiter bis ins Tessin. Das Wetter war schlecht und Corona machte mir einen Strich durch die Rechnung in der Planung, denn ich durfte ja nicht ins Ausland gehen.“ Auf einem Schneefeld sei sie ausgerutscht. Zum Glück sei die Stelle nicht allzu steil gewesen und es sei nicht allzu steil „ds Loch durab“ gegangen, berichtet Christina Ragettli.
Sie suchte die Einsamkeit und war fasziniert von Begegnungen. „Ich bin wandern gegangen, um eine Zeitlang weg zu sein von den Leuten und auch von der Zivilisation“, sagt Christina Ragettli. Doch dann habe sie so viele wunderbare Begegnungen erlebt, rückblickend seien es diese Begegnungen, die ihr am ehesten in Erinnerung blieben. „Ich hatte mich gefreut auf das Alleinsein. Als ich dann aber einige Tage allein gewesen war, empfand ich es dann doch immer wieder schön, auf Leute zu treffen.“ Da habe sie auch immer wieder spannende Geschichten zu hören bekommen, Geschichten, die ihre Wanderung extrem bereichert hätten. Im Wallis habe sie „die schönsten und hilfsbereitesten Begegnungen“ erlebt, merkt Christina Ragettli an.
Eine Extremsportlerin? Nein, das sei sie mit Sicherheit nicht. „Ich bin einfach sehr gern in den Bergen unterwegs“, sagt sie. „Für mich war diese Wanderung kein Leistungs-Projekt, sondern ein grosser Traum. Ich wollte herausfinden, wie lange ich am Stück wandern kann.“ Am Schluss waren es dann vier Monate. „Ich bin keine Extremsportlerin, sondern ein Alpen-Fan“, resümiert Christina Ragettli.
Braucht es auch einen Schuss „Verrücktheit“? Als sie auch im Jahr 2022 wieder mal den Rucksack geschultert habe, da seien ihr rückblickend die Strapazen wieder eingefallen, die sie auf der Via Alpina habe erleiden müssen. Schon beim An- und beim Ausziehen habe ihr alles weh getan. Aber gottseidank blende man die negativen Dinge schon nach kurzer Zeit aus, lacht Christina Ragettli. Sie könne eine positive Bilanz ziehen. Es sei aber ein starker Wille nötig, um jeden Tag wieder weiterlaufen zu können.
„Es war dies ein so grosser Traum von mir, dass ich auch den nötigen starken Willen aufbrachte, diesen meinen Traum zu leben.“
Christina Ragettli im Gespräch mit Kurt Schnidrig
Die Motivation jeden Morgen aufs Neue zu finden, das sei nicht leicht gewesen, schaut Christina Ragettli zurück. Sie sei fünf Tage lang durchs Wallis gewandert und habe dabei fünf Tage Regenwetter erlebt, sagt sie, und dies, obschon immer alle meinten, im Wallis sei immer nur schönes Wetter. Im Wallis, in Vernayaz, habe sie ihre Wanderung gestartet, sie sei dann Richtung Adelboden weitermarschiert, dann zurück nach Leukerbad und dem Walliser Sonnenweg entlang bis hinauf nach Ulrichen und über den Nufenen ins Tessin. Doch werde man immer wieder für all die Mühe und all den Aufwand entschädigt, zum Beispiel mit einem zauberhaften Regenbogen oder mit einem stimmungsvollen Sonnenuntergang.
Ein Buch als „Spassprojekt“. Nach der langen Wanderung habe sie sowieso aufgrund der Corona-Verordnungen in Quarantäne gehen müssen, denn sie sei ja aus dem Ausland zurück in die Heimat gereist. Somit habe sie während der Quarantäne-Zeit auch genügend Zeit gefunden, um das Buchprojekt anzugehen. „Für mich war es – wie die Wanderung – ein Spassprojekt. Das Schreiben des Buches hat mir Freude bereitet, und jetzt freue ich mich auch darüber, dass meine Geschichten auch anderen Menschen Freude bereiten und sie inspirieren“, resümiert Christina Ragettli.
Text, Bilder und Radiosendung: Kurt Schnidrig