„Sich lichtende Nebel“ – das Buch des Jahres?

Wenn ein grandioser Einfall das Potenzial hat, die Welt zu verändern, dann lichten sich die Nebel der menschlichen Unzulänglichkeit. (Symbolbild: Kurt Schnidrig)

Eine grandiose Idee? Ein spektakulärer Einfall? Eine wichtige Beobachtung? In unserem Leben stellt sich immer wieder mal eine ungeahnte, eine plötzliche Erkenntnis ein, die das Potenzial hat, unsere Welt zu verändern. Autor Christian Haller spricht von einem Moment der „Sich lichtenden Nebel“. Er schafft es, einen derartigen Moment in eine Novelle zu kleiden. Dafür hat er den Schweizer Buchpreis 2023 erhalten. („Sich lichtende Nebel“, Luchterhand 2023, 128 Seiten).

Christian Haller, 1943 in Brugg im Kanton Aargau geboren, hat Biologie studiert und hat im wissenschaftlich ausgerichteten Gottlieb Duttweiler – Institut gearbeitet. Christian Haller ist Naturwissenschaftler und er behandelt ein physikalisches Thema in Form einer Novelle: Zu Beginn des Jahres 1925 steht der Physiker Werner Heisenberg in seinen Studien zur Quantentheorie kurz vor dem Durchbruch. Zu diesem Zeitpunkt kann er noch nicht wissen, was seine Quantentheorie in der Wissenschaft anrichten wird.

Die Erlebnisse des jungen Physikers Werner Heisenberg verwebt Autor Christian Haller mit den schwierigen Tagen des Historikers Helstedt. Helstedt hatte sich nach dem Tod seiner Frau zurückgezogen. Nur ab und zu trifft er sich noch mit seinem Kollegen Sörensen und debattiert mit ihm über die Möglichkeiten und die Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit. Die Debatten lassen in ihm die Gewissheit aufkeimen, dass bei einem Abschied nicht zwingend auch die Liebe ein Ende nehmen muss.

Die beiden Protagonisten, Heisenberg und Helstedt, kommen zum Schluss, dass es nebst der offensichtlichen „Wirklichkeit“ auch noch Ebenen geben muss, die sich unserer Vorstellung entziehen. Beide, Heisenberg und Helstedt, wagen einen Aufbruch: Heisenberg bricht aus den Fesseln seines vorgegebenen Denkens aus, Helstedt bricht aus seiner inneren Isolation aus.

„Es kann nur existieren, wofür es Wörter, eine Sprache gibt.“

Wichtige Schlussfolgerung in der Novelle „Sich lichtende Nebel“

„Sich lichtende Nebel“ ist eine Novelle, die uns vor Augen führt, wie eine Kleinigkeit, eine absolute Banalität, gleichsam wie eine Initialzündung für eine weltbewegende und weltverändernde Idee wirken kann. Der Autor lässt zwei Figuren auftreten mit zwei gegensätzlichen Biographien, die sich in Handlungen und Ideen ineinander verschränken. „Sich lichtende Nebel“ ist darüber hinaus aber auch eine novellenhafte Liebesgeschichte. Nicht zuletzt erzählt das Buch auch von der Liebe zur menschlichen Erkenntnis.

Ein starkes Stück Literatur ist „Sich lichtende Nebel“ mit Bestimmtheit. Als Leser spürt man die immense Faszination zur Sprache heraus, man fühlt sich getragen von der weitreichenden Erkenntnis, die sich dem Lesenden offenbart.

Hören Sie den Podcast aus der Sendung „Literaturwälla“ zum preisgekrönten Buch von Christian Haller. (Quelle: rro / Kurt Schnidrig / Simon Kalbermatten / Joel Bieler)

Text, Bild und Radiosendung: Kurt Schnidrig