
Die Künstlerin, Malerin und Literatin Anja Studer ist vor 27 Jahren aus dem Oberwallis nach Kanada ausgewandert und lebt dort in der Provinz Manitoba. Anja Studer erzählt Geschichten mit Bildern. Sie arbeitet im kanadischen Museum für Menschenrechte, wo sie Geschichten über Themen wie „Apartheid“ schreibt und erzählt. Anja Studer illustriert überdies auch Bücher. Ihre Sujets sind vor allem Kanadas wilde Tiere: Eisbären, Pumas, Adler und Wale. Als Künstlerin engagiert sich Anja Studer in Kanada für den Umweltschutz.
Kurt Schnidrig: Anja Studer, herzlich willkommen zum Literatur-Hängert auf Radio Rottu Oberwallis. Anja, du bist bereits vor längerer Zeit ausgewandert nach Kanada. Weshalb hast du das Oberwallis verlassen?
Anja Studer: Vor 27 Jahren bin ich während meines Kunststudiums nach Kanada ausgewandert. Ich hatte damals das Bedürfnis, ein Jahr lang im Ausland eine Schule zu besuchen. Ich wollte damals auch mein Englisch verbessern. Ich bin dann zwar immer wieder mal ins Oberwallis zurück auf Besuch gekommen, aber ich bin in Kanada wohnhaft geblieben.
Nun ist ja Kanada ein riesig grosses Land. Wo genau in Kanada hast du dich niedergelassen?
Ich bin mitten im Land, ich wohne in der Provinz Manitoba, sehr nahe an der Grenze zu den USA.
Anja, du führst in Kanada ein Atelier, du betätigst dich künstlerisch. Woran arbeitest du?
Ich bin Künstlerin, in meinem Atelier male ich, ich stelle Skulpturen und Installationen her. Zurzeit mache ich bevorzugt Scherenschnitte. Ich präsentiere meine Produkte immer wieder auch in Ausstellungen. Nun habe ich auch eine Galerie gefunden, die mich repräsentiert. Kurz zusammengefasst: Es läuft für mich zurzeit alles recht gut.
Welchen Bezug hast du zur Literatur?
Ich lese sehr viel. Ich erzähle auch Geschichten, allerdings auf eine ungewohnte Art und Weise. Ich erzähle meine Geschichten mit Hilfe von Bildern. Zudem arbeite ich auch noch in einem Museum, und auch da erzähle ich Geschichten.
Du arbeitest in einem Museum für Menschenrechte?
Ja, ich arbeite im kanadischen Menschenrechts-Museum. Das ist wohl das einzige generelle Menschrechts-Museum auf der Welt. Wir erzählen Geschichten und bilden die Besucherinnen und Besucher aus. Immer geht es dabei um die Frage: Was eigentlich sind Menschenrechte? Ich erzähle Geschichten über Vorkommnisse, die nicht im Einklang gestanden haben mit den Menschenrechten. Es geht in meinen Geschichten darum, dass wir aus den Vorkommnissen lernen und nicht immer wieder dieselben Fehler wiederholen.
Das alles hört sich spannend an. Könntest du uns ein Beispiel geben für eine Geschichte, die du im Museum für Menschenrechte erzählst?
Ja, wir haben zum Beispiel eine Ausstellung organisiert. Dazu muss man wissen: Das Museum für Menschenrechte besteht aus sieben Stockwerken. Im Jahr 2014 haben wir dort eine bleibende Ausstellung eingerichtet. Dazu kommen jetzt laufend auch temporäre Ausstellungen, an diesen bin ich zurzeit sehr häufig mitbeteiligt. Im Jahr 2018 haben wir zum Beispiel eine Ausstellung zum Thema „Apartheid“ und insbesondere über Nelson Mandela ins Leben gerufen. Das war eine riesige Ausstellung, die als Wanderausstellung in ganz Kanada und später auch in den USA besucht werden konnte. Unsere Ausstellungen präsentieren spannende Themen, zum Teil sind es aber auch auch sehr „harte“ Themen, die unter die Haut gehen. Ich liebe meinen Job, mit meiner Tätigkeit kann ich weltweit etwas bewirken.
Wie stehts mit den sprachlichen Anforderungen? Ich kann mir gut vorstellen, dass du auch als Übersetzerin eine gefragte Person bist?
Zum Teil muss ich tatsächlich immer wieder mal Texte übersetzen. Beispielsweise musste ich auch schon grausame und inhaltlich schreckliche Texte aus dem damaligen Deutschen Reich übersetzen. Ich habe diese Texte dann meistens mit nach Hause genommen, damit ich sie nicht im Büro bearbeiten musste. Beispielsweise habe ich Briefe von Adolf Hitler übersetzt, und das hat mir schon ziemlich zu schaffen gemacht. Das Museum ist zweisprachig, weil ja Kanada über zwei Landessprachen verfügt, Englisch und Französisch. Im Umgang mit den Eltern und mit den Verwandten brauche ich aber auch in Kanada meistens den Walliser Dialekt.
Hast du einen persönlichen Bezug zur Literatur? Wie hast du es mit dem Lesen und Schreiben?
Ich habe immer schon sehr viel gelesen. Im Verlauf eines Jahres lese ich mindestens dreissig Bücher. Ich habe auch schon Gedichte mit Zeichnungen illustriert. Das Schreiben gehört auch zu meinem kreativen Beruf als Künstlerin. Ein Buch allerdings habe ich bisher noch nicht geschrieben. Aber wer weiss, vielleicht werde ich auch noch ein Buch schreiben…
Anja, sprechen wir doch auch noch etwas eingehender über dein künstlerisches Schaffen. Womit beschäftigst du dich bevorzugt? Was liegt dir am Herzen?
Was mir besonders am Herzen liegt, das ist der Schutz der wilden Tiere hier in Kanada. Es sind vor allem Eisbären, Pumas, Adler oder Wale, die schutzbedürftig sind. Meine Sujets mit wilden Tieren Kanadas präsentiere ich auch mit meinen Scherenschnitten. Der Umweltschutz liegt mir seit jeher am Herzen. Schon als Kind war ich eine kleine Umweltschützerin. Nun ist der Umweltschutz ein Teil meiner Kunstpraxis. Ich verbinde mein künstlerisches Schaffen mit dem Umweltschutz. Einen Teil des Erlöses, den ich mit meiner Kunst, mit meinen Bildern und besonders auch mit meinen Scherenschnitten, verdiene, geht immer auch an eine Organisation, die sich für den Schutz der Tiere einsetzt.
Die weiten Wälder Kanadas mit der grossartigen Tierwelt, die Einsamkeit inmitten der Weiten Kanadas – sind das Clichés von früher? Wie präsentiert sich das heutige Kanada?
Das sind keine Clichés, nein, das ist durchaus auch noch das heutige Kanada. Ich wohne in einer Stadt mit 900‘000 Einwohnern, sobald man aber mit dem Auto eine Dreiviertelstunde gen Norden fährt, befindet man sich mitten in der Wildnis. Dort lassen sich Bären und Pumas beobachten oder auch die Adler. Kanada ist wirklich noch so, wie du dir das in deinen Träumen vorstellst.
Anja, du führst hier in Kanada ein Atelier. Wie darf ich mir das nun vorstellen: Du bist vor Jahren aus dem Oberwallis hierhergezogen und hast dir hier eine neue Existenz aufgebaut. Wer sind deine Kundinnen und Kunden?
Dadurch, dass ich zurzeit mit meinen Werken in einer Galerie ausstelle, setzt sich meine Kundschaft vor allem aus Touristen zusammen. Die Touristinnen kommen hierher vor allem um Tiere zu beobachten. Im Norden Kanadas lassen sich vor allem Eisbären beobachten, das ist ein unbeschreiblich schönes und bleibendes Erlebnis. Die Touristen kommen vor allem aus Asien, aus Europa und auch aus den USA. Viele Touristen suchen nach einem passenden Souvenir. Sie wollen jedoch nicht so ein typisch kitschiges Souvenir, sie wollen vielmehr ein Andenken, das ihnen persönlich etwas bedeutet. Meine Bilder mit Eisbären oder Walen sind bei der internationalen Kundschaft sehr gefragt. Ich bin hier in Kanada auch gut vernetzt mit Arbeitskollegen, mit Verwandten, mit Familienangehörigen. Auch sie gehören zu meiner Kundschaft.
Wie dürfen wir uns deine Bilder und Produkte vorstellen? Sind deine Malereien und deine Texte eher naturalistisch und realitätsnah? Oder lässt du deine eigenen Ideen in deine Kunstwerke einfliessen?
Meine Zeichnungen und meine Scherenschnitte sind eher graphische Darstelllungen der kanadischen Tiere. Häufig haben die Tiere auf meinen Kunstwerken auch graphische Muster wie Dreiecke oder Kreise. Ich war schon seit jeher inspiriert von Schweizer Scherenschnitten, sie üben einen grossen Einfluss auf meine Produkte aus. Ich male also nicht unbedingt ein realistisches Ölbild von einem Bären beispielsweise. Ich fertige vielmehr eine graphische Zeichnung von einem Bären an.
Eines deiner Anliegen ist ja der Natur- und Tierschutz. Bist du der Meinung, dass du als Künstlerin diesbezüglich etwas bewirken kannst?
Ja, ich denke, dass ich als Künstlerin diesbezüglich sehr viel bewirken kann. Es gelingt mir als Künstlerin, die Aufmerksamkeit der Menschen auf den Umweltschutz zu lenken. Leider sind auch bei uns in Kanada einige Tiere bereits gefährdet, ihre Anzahl geht zurück. Einerseits gelingt es mir hoffentlich, dass sich die Menschen zum Umweltschutz ihre Gedanken machen. Andererseits generiere ich mit meinem künstlerischen Schaffen auch finanzielle Mittel, die einer Organisation zufliessen, die sich für die wilden Tiere einsetzt. Oftmals werden Tiere auch verletzt, unsere Organisation pflegt und heilt diese Tiere und setzt sie dann anschliessend wieder aus.
Das Oberwallis und Kanada im Vergleich: Handelt es sich um besonders gegensätzliche Welten?
Ja, das sind nun mal sehr gegensätzliche Welten. Beide Welten sind aber ein Teil von mir. Ich bin im Oberwallis aufgewachsen, ich war 22 Jahre alt, als ich nach Kanada ausgewandert bin. Immer noch habe ich aber einen sehr grossen Bezug zum Wallis. Allerdings lebe ich nun schon lange Jahre in Kanada, so dass dieses Land nun auch ein Teil von mir geworden ist. Ich bin nun an zwei Orten beheimatet: Ein Bein habe ich in Kanada und das andere habe ich im Wallis.
Da wünschen wir dir von Herzen viel Erfolg und viel Glück in Kanada und vielleicht ab und zu auch auf Heimaturlaub im Wallis. Vielen herzlichen Dank, Anja Studer, für diesen Literatur-Hängert zu Neujahr 2026.
Hinweis: Den „Literatur-Hängert“ können Sie jederzeit im Originalton und in voller Länge nachhören auf pomona.ch/rro
Text, Bild und Radiosendung: rro / Kurt Schnidrig