Literatur-Hängert mit der Bestseller-Autorin Barbi Markovic

Der Literatur-Hängert im Monat Juli: Literaturexperte Kurt Schnidrig empfängt die Bestseller-Autorin Barbi Markovic. (Bild: rro)

Den ausführlichen Literatur-Hängert können Sie jederzeit nachhören auf www.pomona.ch/rro. Nachfolgend einige Ausschnitte.

Barbi Markovic ist in Belgrad geboren, studierte Germanistik und lebt heute in Wien. 2016 erschien ihr vielfach ausgezeichneter Roman „Superheldinnen“. 2017 las Barbi Markovic beim Bachmann-Preis. In ihrem aktuellen Buch „Minihorror“ erzählt Barbi Markovic die Geschichten von Mini und Miki und ihren Geschichten im städtischen Alltag. Der Roman hat den Preis der Leipziger Buchmesse 2024 erhalten. Auf die Frage, wie sich Gegenwart überhaupt meistern lässt, findet sie verblüffende Antworten.

Kurt Schnidrig: Frau Markovic, Ihre beiden Protagonisten Miki und Mini begeistern das Publikum. Haben Sie ein besonderes Rezept angewandt?

Barbi Markovic: Offenbar schon, ich wusste aber nicht, dass die Menschen das mögen. Aber ja, ich habe diesmal etwas ausprobiert und habe bekannte Charaktere genommen aus der Comic-Welt.

Es sind Alltagsfiguren, die aber über sich hinausweisen, teilweise geht’s ins Horrorhafte. Wo ist die Kippstelle in Ihren Geschichten?

Die Kippstelle ist mir klar, schon bevor ich zu schreiben beginne. Die Kippstellen sind für mich häufig in alltäglichen Dingen zu suchen, in Problemen und schlimmen Ereignissen, die von der Gesellschaft wahrgenommen werden. Es sind Themen, mit denen wir täglich leben, so wie Rassismus. Oder auch Themen, die sich innerhalb einer Gruppe ergeben, Dinge, die bei mir Alarm schlagen, die habe ich jetzt versucht in eine Geschichte einzubinden.

Der Witz und der Humor scheinen in Ihren Geschichten immer wieder durch. Sie haben uns Lesung gesagt, dass der Witz und der Humor Sie dazu befähigt, in tiefere Schichten zu blicken. Ohne Witz wäre das für Sie wohl nicht möglich?

Genau, das ist es, was ich denke. Noch habe ich zwar keine gute Erklärung dafür, aber ich merke, dass ich mit einem Witz einen riesigen Gedankensprung machen und Sphären verbinden kann, an die ich normalerweise nie denken würde. Das sind für mich jene Momente, für die ich überhaupt schreibe. Es sind die Verbindungen, die wichtig sind: Plötzlich verbindet man etwas, das nicht zusammengehört. Mit einem Fuss ist man in einer Gesellschaftssphäre und mit dem anderen in einer anderen Sphäre. Das wirkt auf den ersten Blick unmöglich, deshalb lachen wir und dann merken wir, dass das alles gar nicht so blöd ist, denn es ist auch in der Wirklichkeit so.

Sie haben uns eine Geschichte vorgelesen mit dem Titel „Ein starkes Wir“. Wie gehen Sie mit dem Integrationsgedanken um? Heute wird ja sehr viel darüber geschrieben. Sie haben aber eine sehr spezielle Form des Schreibens über das Thema Integration gefunden…

Das hängt mit der Frage zusammen, was genau wir unter „Integration“ meinen, wer wen integrieren soll, wer sich integrieren soll und so weiter. Davon hängt jetzt auch meine Antwort ab: Ich bin sehr sensibel, wenn es um Nivellierungs- und Auflösungsversuche geht, und zwar in alle Richtungen. Für mich ist sehr wichtig, dass die Gesellschaften das Anderssein zulassen. Dafür kämpfe ich in meiner kleinen Nische. Es müsste möglich sein, dass nicht alle gleich denken und nicht alle gleich sind.

„Minihorror“ – so ist Ihr Buch betitelt. Es geht um die allgemeinen Problemchen und doch sind es schlussendlich die grossen Probleme, die zum Vorschein kommen.

Genau. Das ist etwas, was ich während all der Jahre, die ich in Wien verbracht habe, realisiert habe. Ich lebe seit 2006 in Wien, das ist eine Gesellschaft, die im Gegensatz steht zu dem, was ich in Belgrad erlebt habe. Dort befindet man sich ständig am existenziellen Rand der Gesellschaft. Heute lebe ich in der Wiener Gesellschaft, da geht’s den wenigsten Leuten wirklich um Leben und Tod. Es gibt in Wien auch nicht viele Menschen, die hungern. Und trotzdem ist das Leben (auch in Wien) voller Schrecken und voller Probleme. Das wollte ich in meinem Buch auch untersuchen.

Sie haben gesagt, Sie hätten nicht so viel Zeit gehabt, um dieses Buch „Minihorror“ zu verfassen. Trotzdem ist es grosse Literatur geworden. Das Buch hat den Preis der Leipziger Buchmesse erhalten. Ist es heute noch möglich, mit Können, Talent und mit ein bisschen Glück grosse Literatur zu schreiben, ohne dass man die grossen Themen des Lebens bemüht?

Ich würde nicht sagen, dass die grossen Themen des Lebens in meinem Buch nicht vorkommen würden. Egal, wie klein der Ausschnitt ist, der in einem Buch gezeigt wird. Aber ehrlich gesagt, ich bestimme nicht, ob sich die Literatur, die ich schreibe, verkauft. Ich habe mit diesem meinem Buch einfach einen Versuch gemacht. Offenbar hat es geklappt, ich habe schon immer vermutet, dass dies etwas für mich sein könnte.

Es ist tatsächlich etwas Grosses geworden! Wir freuen uns auf die Lektüre von „Minihorror“. Vielen herzlichen Dank, Frau Markowic, für dieses Gespräch.

Hören Sie den ausführlichen Literatur-Hängert mit Barbi Markovic auf www.pomona.ch/rro

Text, Bild und Radiosendung: Kurt Schnidrig