Jeder von uns hat wohl eine Melodie, die eine ganz spezielle Rolle spielt in seinem Leben. Man hat das Lied gehört als man verliebt war, oder bei einem Ferienabenteuer, vielleicht bei einem schmerzhaften Abschied oder dann, als Liebeskummer und Weltschmerz uns heimgesucht haben. Und immer, wenn man diese bestimmte Melodie, diesen besonderen Song hört, kommen die entsprechenden Erinnerungen in uns hoch. Wenn das Lied ertönt, werden die Erinnerungen an den speziellen Moment in unserem Leben wie auf Knopfdruck lebendig. Ein solches Lied funktioniert wie ein Soundtrack unseres Lebens.
Der Soundtrack meines Lebens ist der Elvis-Song „Can’t help falling in love“. Der Text ist so umwerfend einfach wie philosophisch anspruchsvoll. Seit meinen Studienjahren bin ich fasziniert von diesem Song. Vor kurzem habe ich den Song zusammen mit einem wunderbaren Frauenchor im grössten Theater des Wallis zum Besten geben dürfen (Bild). Was mich an diesem Elvis-Evergreen derart fasziniert? Es sind diese paar Zeilen, es sind diese kurzen Strophen, die davon erzählen, dass alle Gelehrtheit und alles Wissen dieser Welt uns nicht davor schützen, von den eigenen Gefühlen und Emotionen überrannt zu werden: „Wise men say only fools rush in, but I can’t help falling in love…“.
Das neuste Werk des Pariser Schriftstellers Antoine Laurain widmet sich diesem Thema. Der Roman trägt den Titel „Die Melodie meines Lebens“. Er beschäftigt sich allerdings auf eine ganz eigene Art und Weise mit dem Soundtrack des Lebens. Ihn fasziniert die Tatsache, dass wir oft nur um ein Haar verpassen, unserem Leben eine neue Richtung zu geben. Oft entscheiden Sekunden, vielleicht eine kurze Begegnung oder ein winziges Detail, und unser Leben nimmt eine ganz andere Wende. Wir alle kennen das: Was wäre gewesen, wenn damals… Eben. Aber wer will schon wissen, was in seinem Leben nicht ist, aber hätte sein können?
In „Die Melodie meines Lebens“ erfahren die Protagonisten erst viel zu spät, dass ihr wunderbarer Traum hätte in Erfüllung gehen können. Wenn da nur nicht ein kleines Missgeschick gewesen wäre. Der Roman erzählt die Geschichte einer Musik-Band, die einen tollen Song eingespielt hatte und diesen per Demotapes an grosse Plattenlabels geschickt hatte. Das war vor 33 Jahren. Nie kam eine Antwort zurück. Bis jetzt. Nun, 33 Jahre später, überbringt die Post den Plattenvertrag, der die ganze Zeit über auf der Post hängengeblieben war. Damals hätte die Musik-Band einen grossen Erfolg feiern können. Aber heute? Der Gitarrist ist mittlerweile als ein bekannter Arzt tätig, seine E-Gitarre ist verstaubt und die Kassette mit den alten Songs verschwunden.
Lässt sich zurückholen, was im jetzigen Leben nicht ist, was aber hätte sein können? Der Gitarrist im Roman „Die Melodie des Lebens“ gibt nicht auf und versucht das schier Unmögliche. So gerne möchte er wieder das Lied hören: „We are made the same stuff dreams are made off“. Dieses Lied hätte der Superhit der Band werden können. Es hat nicht sein sollen. Ein Missgeschick, verursacht durch die Post, hat alle Träume begraben. Statt sich von negativen Gefühlen, von Schwermut und Melancholie überwältigen zu lassen, beschliesst er, seine ehemaligen Bandkollegen zu suchen. Lässt sich das Rad der Zeit zurückdrehen?
Wie aber geht der Soundtrack unserer Zeit? Immer wieder wird es Melodien, Songs und Chansons geben, die dem Leben einen unverwechselbaren Soundtrack unterlegen. Auch Sie, liebe Leserin, lieber Leser, verfügen bestimmt auch über eigene Hör-Erfahrungen, über eine persönliche Musik-Story. Würde man sie alle zu einer grossen Gesamt-Komposition zusammenfügen, wären diese Song-Lines so etwas wie der Soundtrack unserer Zeit. Wie sich der wohl anhören würde?
Text und Foto: Kurt Schnidrig
Literatur: Antoine Laurain: Die Melodie meines Lebens. Roman im Atlantik Verlag, 2017. 256 Seiten.