Anja Kampmann ist die derzeit wohl angesagteste Lyrikerin im deutschsprachigen Raum. In ihren Gedichten und Miniaturen erzählt sie von all dem, was wir in Zeiten von Corona vermissen, übersehen und vergessen. Die gebürtige Hamburgerin ist im niedersächsischen Lüneburg aufgewachsen. In der idyllischen Lüneburger Heide textet und dichtet sie, umgeben von Feldern, Weiden und alten Bauernhäusern. Vor allem erwacht die Jugendzeit in ihren Texten zu neuem Leben. Ihre frühlingshaften Texte richten unseren Blick auf die Schönheiten und Kleinode unserer Welt, auf eine Augenweide, die unsere Herzen dennoch erquickt: Blühende Apfelbäume, kühle Nächte wie kühles Bier, süsse Mädchen mit Vanille-Parfum.
„dennoch: die apfelbäume blühten / die nächte noch kühl / so auch das bier die mädchen die süssen / parfum vanille im dunkeln / die apfelbäume blühten flächen gähnten / unter niedrigem ersten korn…“
Aus dem Lyrikband „Der Hund ist immer hungrig“ von Anja Kampmann
Corona-Lyrik lässt erfahren, was wir derzeit so sehr vermissen: Intensität und Berührungen. In virenverseuchten Zeiten vermissen viele von uns das echte Leben. Wir sehnen uns nach dem Zwischenmenschlichen, nach einer Umarmung und vor allem nach einem Ende der Tristesse innerhalb der eigenen vier Wände. Diese Gestimmtheit ist ein Steilpass für eine Lyrikerin, für eine Poetin, die in ihren Texten vermitteln kann, was uns fehlt. Die Lyrikerin Anja Kampmann schreibt wundervolle und zauberhafte Texte, die das Bedürfnis nach dem Echten und Intensiven zum Ausdruck bringen. Trotzdem sind ihre Texte keine plakative Corona-Lyrik. Herausgegeben hat Kampmann ihre Texte unter dem Titel „Der Hund ist immer hungrig“.
Erinnerungen vermitteln – so heisst das Credo der Lyrikerin Anja Kampmann. Ihre Corona-Lyrik weckt Erinnerungen an eine goldgerahmte Vergangenheit. Ihre Gedichte knacken die Grenzen von Zeit und Raum. Sie öffnen uns die Augen für alles, was uns ausmacht, und was uns vorwärts bringt. Erinnerungen funktionieren dabei wie „Flashbacks“, wie Rückblenden. Anja Kampmanns Texte nehmen uns mit in frühere Zeiten, als noch vieles möglich gewesen war, was zurzeit nicht möglich ist. Dazu gehören zutiefst menschliche Bedürfnisse: Berührungen und liebevolle Umarmungen.
„Uns gibt es / In den Berührungen / Die am weitesten entfernt sind / Von den Strassen / In Häusern, die an diesen Strassen stehen / Wir teilen uns einen Stuhl / Der knarzt, früh am Morgen / Steinstufen dampfen / Nach einem langen Regen / Ich lese ein Liebesgedicht / Ein zerschnittener Drahtzaun / zu einem Waldstück mit jungen Bäumen.“
Aus dem Lyrikband „Der Hund ist immer hungrig“ von Anja Kampmann
Der Alltag in all seinen Facetten begegnet uns in den Texten von Anja Kampmann wieder. Es ist dies die „Normalität“, nach der sich so viele von uns sehnen. Als distanzierte Beobachterin flaniert die Lyrikerin durch unsere Dörfer und Städte und wagt einen Blick durchs Fenster hinein in unsere Wohnungen, dort, wo Menschen fernsehen, sich fein machen für die Disko oder sich mit Gummibärchen den Alltag versüssen.
„Zu irgendeiner Soap / Die jeden Abend über unseren Bildschirm flimmerte / Was wussten wir, wie lange das Leben währt / Vorortflimmern, der Lidschatten blau / Tanga, Gummibärchen, Disko / Irgendwo, wo keiner sah / Dass Bauchfell und die inneren Organe / Diese ganze Last Leben / Skybooster / Die Namen von Typen / Also das grelle Lichter über einem Dorf / Das rings die Vögel irritiert / man braucht irgendetwas.“
Aus dem Lyrikband „Der Hund ist immer hungrig“ von Anja Kampmann
Man braucht irgendetwas. Oftmals sind es die kleinen Dinge des Lebens, die unser Leben lebenswert machen. In Anja Kampmanns Texten sind es kleine Dinge wie der Lottoshop, die Flipperbude, der Spaziergang mit dem Hund, ein Liebesgedicht. Die Lyrikerin verzichtet auf Eruptionen von Metaphern. Sie bevorzugt den intimen und unkomplizierten Schreibstil. Immer aber bleibt am Schluss ein Rest an Geheimnis, fehlende Worte, die von uns Lesenden zu ergänzen sind:
„Die einzigen Banditen / sind die Tage, ist das Sehnen / Unbestimmt, als gäbe es kein Glück / In weiter Ferne…“
Aus dem Lyrikband „Der Hund ist immer hungrig“ von Anja Kampmann
Text, Bild und Radiosendung: Kurt Schnidrig