Die Oberwalliser Frauenrechtlerin Iris von Roten hat heutige Persönlichkeiten beeinflusst. Sie ist eine von 44 Persönlichkeiten, die im Buch „Projekt Schweiz“ vorgestellt werden. Das Besondere an diesem Buch ist, dass die Schweizer Persönlichkeiten von Autorinnen und Autoren porträtiert werden, und zwar aus ihrem eigenen und sehr persönlichen Blickwinkel. Bestimmt kennen wir diese Persönlichkeiten bereits, die heutige Autorenschaft porträtiert die Persönlichkeiten jedoch aus Perspektiven, die wir so möglicherweise noch nicht kennen. Die vierzig Porträts zeigen uns unser Land offen, mutig und erneuerbar. Geschrieben sind die Porträts mit Leidenschaft und die Texte sind ein Lesegenuss und ein Denkanstoss in einem. (Stefan Howald: Projekt Schweiz: Vierundvierzig Porträts aus Leidenschaft. Unionsverlag 2021, 496 Seiten, um Fr. 44.-).
Sibel Arslan, die Basler Nationalrätin der Grünen Partei, porträtiert im Buch „Projekt Schweiz“ die Oberwalliser Frauenrechtlerin Iris von Roten. Sie gesteht, wie sehr sie sich von der Persönlichkeit Iris von Roten habe beeinflussen lassen. Viele von uns kennen Iris von Roten vor allem aufgrund ihres Buches „Frauen im Laufgitter“. Sibel Arslan weist uns nun aber auf eine bisher kaum bekannte Seite der Iris von Roten hin. Herausgearbeitet hat sie diese eher unbekannte Facette der Persönlichkeit von Iris von Roten aus dem Reisebuch „Vom Bosporus zum Euphrat“.
Als „die Emanze der Schweiz“ wurde Iris von Roten auch von Frauen geächtet, nachdem sie 1958 das Buch „Frauen im Laufgitter“ herausgegeben hatte. Praktisch über Nacht war sie zur meistkritisierten Person ihrer Zeit avanciert. In der Folge wurden nicht etwa die wahlberechtigten Schweizer Männer für die Ablehnung der ersten Volksabstimmung über das Frauenstimmrecht in der Schweiz im Februar 1959 verantwortlich gemacht, sondern Iris von Roten und ihr „Skandal-Buch“. Iris von Roten fühlte sich missverstanden und von der massiven Kritik gekränkt. Enttäuscht wandte sie sich von der feministischen Thematik ab und begab sich auf Reisen.
Auf einer Türkei-Reise erhoffte sich Iris von Roten eine Verarbeitung der harschen Kritik, die nun sogar Frauenorganisationen gegen sie richteten. Iris von Roten zog sich zurück und reiste 1960 allein mit ihrem Auto für sechs Monate durch die Türkei. Zurück von der Reise, schrieb sie ein Buch über ihre Reise-Erlebnisse. Doch nun war kein Verlag mehr bereit, das Türkei-Buch zu drucken. Iris von Roten flüchtete erneut und reiste in den Nahen Osten, den Maghreb, nach Sri Lanka und Brasilien. Zurückgekehrt, begann sie die Reise-Eindrücke nun auch malend festzuhalten.
Der mittelalterliche Wohnturm auf der Burg unweit des Museums, das auch Iris von Roten, die ortsansässige Pionierin für die Gleichstellung der Frau, thematisiert. (Foto: Kurt Schnidrig)
Gesundheitsprobleme wie der Verlust der Sehkraft und Schlafstörungen verunmöglichten Iris von Roten schliesslich nicht nur das Schreiben, sondern auch das Malen. So beschloss sie, minuziös geplant, Suizid zu begehen. Kurz vor ihrem Tod sagte sie in einem Interview: „Wie ein Gast wissen muss, wann es Zeit ist zu gehen, so sollte man sich auch rechtzeitig vom Tisch des Lebens erheben.“ Am 11. September 1990 beendete sie ihr Leben.
44 Persönlichkeiten sind im Buch „Projekt Schweiz“ porträtiert. Nebst Iris von Roten zum Beispiel auch der Dichter und Schriftsteller Jeremias Gotthelf, dessen Novelle „Die schwarze Spinne“ zurzeit als Neuverfilmung in unseren Kinos zu begutachten ist. Der Schriftsteller Charles Lewinsky porträtiert Gotthelf und hebt ihn dabei in den Olymp der Weltliteratur. Ein anderes Beispiel: Die Autorin Margrit Sprecher porträtiert den aufmüpfigen, kritischen und rebellischen Schriftsteller Niklaus Meyenberg. Oder: Was haben Patti Basler und Johanna Spyri, die Autorin des Kinderbuchs „Heidi“, gemeinsam? Der Sammelband „Projekt Schweiz“ fördert tatsächlich viel Überraschendes zutage. Vergangenheit und Gegenwart begegnen sich. Die neuen und überraschenden Zugänge zu bekannten Persönlichkeiten unseres Landes sind bereichernd, die Lektüre ergreift und berührt. „Projekt Schweiz“ ist ein Werk, das uns Lesende nicht so schnell wieder loslässt.
Text, Fotos und Radiosendung: Kurt Schnidrig