Aussteigen

Ein Traum platzt wie eine Seifenblase. Ein Projekt erweist sich als undurchführbar. Hochfliegende Pläne gehen unter im Alltagstrott. Eine Herzenssache erweist sich als eine Illusion. Was tun? Aussteigen. Weggehen aus dem engen Tal. New York bietet sich an, die Kapitale für Aussteiger jeglicher Herkunft. Distanz schaffen und Abstand nehmen ist in solchen Fällen ein guter Ratschlag. Die bevorstehende Ferien- und Reisezeit erlaubt zumindest einen Ausstieg auf Zeit. Ob die kurze Auszeit aber reicht, ist mehr als fraglich. Nicht selten holt uns der Alltagstrott schnell wieder ein.

Wie der Ausstieg auf Zeit funktionieren kann, zeigt der Literat Henry David Thoreau, dessen Biografie soeben im Suhrkamp Verlag erschienen ist. Ausgerechnet er, der Amerikaner, flüchtete jedoch nicht in die Stadt der Aussteiger, nicht nach New York. Zwei Jahre, zwei Monate und zwei Tage lebte er in einer Hütte an einem kleinen See im Wald. Sein Buch über dieses Experiment machte ihn noch Generationen später zum Vorbild für zeitkritische und rebellische Menschen. Für die Hippies in den 60er Jahren war er eine Kultfigur. Und neuerdings schwärmt die moderne Occupy-Bewegung wieder von Henry David Thoreau.

Henry David Thoreau, das war jedoch nicht nur der Aussteiger und Naturliebhaber. Thoreau war auch ein hitziger Verfasser von Streitschriften zu politischen Themen, ein erbitterter Kriegsgegner und ein Kämpfer gegen staatliches Bürokratentum.

Was mich an der Kultfigur aller zivilisationsmüden Aussteiger so fasziniert, ist das Folgende: Zum Aussteigen muss man nicht unbedingt in die Aussteiger-Stadt New York fliegen. Man braucht sich auch nicht als Nachfahre von Che Guevarra auf Kuba einzunisten. Und auch Ibiza, die ehemalige Hippie-Insel, ist nicht mehr, was sie mal war. Was Henry David Thoreau uns potenziellen Aussteigern sagen möchte, ist dies:

Zum Aussteigen braucht man nicht in die allzu grossen Fussstapfen der Rebellen und Revolutionäre zu treten.  Aussteigen fängt zunächst im Kopf an. Aussteigen bereichert unser Leben, wenn wir die Augen für die kleinen Schönheiten öffnen und wenn wir uns nicht zumüllen lassen von den vielen Nichtigkeiten, die uns belasten und bedrängen. Henry David Thoreau hat es uns vorgemacht.

Literaturangabe: Frank Schäfer: Henry David Thoreau. Waldgänger und Rebell. Suhrkamp Verlag 2017, 253 Seiten.

Zum Bild: New York, Stadt der Aussteiger aus aller Welt. Foto: Kurt Schnidrig.