Saharaluft und Saharastaub lagerten sich in den vergangenen Tagen erneut auch auf der Felsensteppe am Brigerberg ab. Ein Stück Afrika kommt damit mehrmals im Jahr zu uns. Unter diesen Rahmenbedingungen Szenen aus Afrika zu drehen, das war ein Bestandteil eines verrückten Filmprojekts, das ich in Zusammenarbeit mit Schweizer Touristikern entwickelt hatte. Eine Schlüsselstelle aus meinem Roman „Vergiss nicht die Blumen in deinem Haar“ passt perfekt zu den Verhältnissen, wie wir sie bis zu fünfzehn Mal im Jahr erleben. Die Szene aus dem Roman spielt in der Felsensteppe am Simplon, die sich über Nacht mit Saharastaub rot eingefärbt hat.
„Wo ist für dich Out of Africa?“, fragte ich Dana nach einer Weile. „Irgendwo über den Wolken“, antwortete sie, „Out of Africa ist das Losgelöst-sein von allem, was bedrückt und bedrängt.“ Ich fragte zurück: „Auch hier? Hier am Simplon, an dem Afrika seinen Wüstensand und seine Vegetation ablagert?“ Dana entfernte sich ein paar Schritte. Dann kam sie zurück. In ihrer Hand hielt sie eine blaue Blume. „Auch hier ist „Out of Africa“, sinnierte Dana mit leiser Stimme. „Auch das Samenkorn dieser afrikanischen Lilie hat es bis hierher geschafft.“ Dana setzte sich neben mich. Zwischen uns legte sie die afrikanische Lilie auf den Boden. Die afrikanische Aloe lockte mit ihren magisch blauen Blüten in Blau-, Violett- und Weisstönen. Wir sogen den exotischen Duft sehnsuchtsvoll ein. „Agapanthus Agape“, flüsterte Dana und schmiegte sich an mich. „Anthos ist altgriechisch und heisst Blume“, sagte ich. „Agape heisst Liebe“, ergänzte Dana. „Willst du meine Liebesblume sein?“ – „Liebesblumen verblühen schnell“, antwortete Dana. Die blutrote Sonne liess den Sahara-Sand wie ein Ofen unter uns erglühen. (Aus: „Vergiss nicht die Blumen in deinem Haar“).
Die Afrika-Szenen in meinem Roman sind nicht ganz fern aller Realität, das bewies die Wetterlage der vergangenen Tage eindrücklich. Das Phänomen wiederholt sich: Saharastaub aus den Wüstengebieten Nordafrikas und Arabiens wird mit einer starken südlichen Höhenströmung in die Schweizer Alpen transportiert. Die feinen Sandkörner wehen mit dem warmen Scirocco-Wind über das Mittelmeer und bis in die Alpen. Der Saharastaub hat eine gelb-bräunlich (ocker) bis gelb-rote Farbe. Der Staubtransport über die Alpen findet allerdings nur statt, wenn die Südwinde stark sind. Der Staub wird in Nordafrika durch grosse Turbulenzen und Winde einige Kilometer hoch in die Atmosphäre getragen. Während grössere Körner gleich wieder herunterfallen, können die kleineren bis in die Schweiz getragen werden.
In der Felsensteppe am Brigerberg lagert sich der Sahara-Staub bevorzugt ab, nachdem er sich am Simplon gestaut hat. Die Naturwissenschafter sind sich jedoch in der Frage uneinig, ob mit dem Staub auch Pflanzensämlinge aus Afrika mitgeführt werden. Ob es also die magisch-blaue afrikanische Lilie im Naturschutzgebiet am Brigerberg wirklich gibt? Ein Romancier bedient sich gerne auch mal der Fiktion.
Das faszinierende Phänomen des verfrachteten Sahara-Staubs hat sich die erzählende Literatur mit Symbolen und Metaphern zu eigen gemacht. Dies beweist etwa die Bezeichnung „Götterdämmerung“. Wenn die Staubkonzentration in der Luft so gross ist, dass sie den Himmel ocker verfärbt und abdunkelt, bezeichnen Literaten dieses Phänomen auch als „Götterdämmerung“. Kommt noch ein Gewitter hinzu, fällt aus der Götterdämmerung am Himmel der „Blutregen“. Befindet sich eine hohe Konzentration Sahara-Staub in der Luft, färben die feinen Sandpartikel die Regentropfen rötlich bis bräunlich, daher die Bezeichnung „Blutregen“.
Szenen aus Afrika am Simplon. Die Verquickung von Realität und von Fiktion verleiht Szenen aus Afrika jene Exotik, die auch das vorkoloniale Afrika zu einem Sehnsuchtsort voller Magie und Mystik hat werden lassen. (Vgl. dazu auch: Kurt Schnidrig: „Ein Leuchtturm in der Finsternis“, Seiten 111-113).
Text und Fotos: Kurt Schnidrig