Zu seinem 100. Geburtstag begab sich das Int. Literaturfestival Leukerbad auf eine denkwürdige Spurensuche nach ihrem einstigen Dorfbewohner. Teju Cole sprach in Leukerbad über seine Beziehung zu Baldwin und mit Miriam Mandelkow unterhielten wir uns über ihre Neuübersetzungen von James Baldwins Werken.
Kurt Schnidrig
„So weit ich in Erfahrung bringen konnte, hatte vor mir noch kein schwarzer Mann dieses kleine Dorf in der Schweiz jemals betreten.“ Mit diesem Satz beginnt der Essay „Fremder im Dorf“, entstanden in Leukerbad, wo sich James Baldwin zwischen 1951 und 1953 dreimal aufhielt. Für die Dörfler war die Begegnung ebenso bedeutend wie für Baldwin selbst. Seine Reflexionen darüber und über Rassismus im Allgemeinen sind heute leider immer noch gültig und relevant.
James Baldwin, 1924 in ärmlichen Verhältnissen im New Yorker Stadtteil Harlem geboren, versuchte schon früh als schwarzer Autor in einer rassistisch geprägten Gesellschaft zu reüssieren. Enttäuscht kehrte er seinem Geburtsland den Rücken und zog 1948 nach Frankreich. Die gesellschaftlichen Missstände in den USA beschäftigten ihn jedoch weiterhin: Er engagierte sich in der Bürgerrechtsbewegung und setzte sich für die Rechte von Homosexuellen ein.
„Es ist an der Zeit zu erkennen, dass das Drama, das sich auf dem amerikanischen Kontinent abspielt, nicht nur einen neuen Schwarzen, sondern auch einen neuen Weissen hervorgebracht hat“, schreibt Baldwin in seinem Text „Fremder im Dorf“. Und: „Kein Weg wird Amerikaner zur Schlichtheit dieses europäischen Dorfes (Leukerbad) zurückführen, in dem Weisse noch immer den Luxus geniessen, mich als Fremden zu betrachten.“
Teju Cole, in den USA geboren und in Nigeria aufgewachsen, sprach in Leukerbad über seine Beziehung zu Baldwin. Während eines Aufenthalts als Writer in Residence in Zürich verfasste er eine Antwort auf James Baldwins Essay über Leukerbad. „War Leukerbad seine Bergkanzel, dann waren die USA seine Gemeinde. Das entlegene Dorf schärfte seinen Blick für die Lage daheim.“ In Leukerbad sei Baldwin ein Fremder gewesen, während es Schwarzen in den USA unmöglich gewesen sei, Fremde zu sein und den Weissen, ihre Phantasie eines von allen Schwarzen bereinigten Amerika Wirklichkeit werden zu lassen.
Miriam Mandelkow gilt als eine der vielseitigsten Übersetzerinnen aus dem Englischen. Besonders herausragend sind ihre Übersetzungen von James Baldwins Werken. Ihre Arbeit zeichnet sich nicht nur durch ihre sprachliche Präzision aus, sondern auch durch ihr tiefes Verständnis für die kulturellen und historischen Zusammenhänge der Texte. Sie versteht es meisterhaft, die Musikalität der Originaltexte ins Deutsche zu übertragen. Wir haben uns mit Miriam Mandelkow unterhalten.
Kurt Schnidrig: Frau Mandelkow, Sie haben sich mit James Baldwin sehr eingehend befasst. „Fremder im Dorf“ – ist dieses Buch das Highlight ihrer Baldwin-Übersetzungen?
Miriam Mandelkow: Ich sage mal so: Hier am Literaturfestival auf jeden Fall. Es ist in meinen Augen eines seiner besten Essays. Sehr eindrücklich. Ich bin jetzt zum ersten Mal in Leukerband und laufe hier ganz andächtig herum, weil ich endlich den Ort sehe, den Baldwin so eindrücklich beschrieben hat in seinem Essay.
„Baldwin, einmal neu bitte“ – ist sowas überhaupt nötig? Weshalb sind die bisherigen Übersetzungen nicht mehr aktuell?
Die bisherigen Übersetzungen sind gut. Sie sind aber – wie das eben meistens ist bei früheren Übersetzungen – sehr mit ihrer Zeit verhaftet, sie stammen aus der 50er bis 70er Jahren. Und sie haben – was mir persönlich wichtig ist – auf Musik, Rhythmus, überhaupt auf die sprachliche Gestaltung keinen grossen Wert gelegt. Auch die stilistischen Merkmale wie Wortwiederholungen, die Baldwin sehr wichtig sind, hat man damals eher gemieden. Dazu kommt die Terminologie, die rassistische Terminnologie, die neu bearbeitet werden musste. Das sind einige Gründe, weshalb Übersetzungen durchaus angezeigt sind.
Wie schätzen Sie das Echo heutiger moderner Menschen ein bezüglich James Baldwin? Sind seine Werke noch begehrt? Glauben Sie, dass Ihre Neuübersetzung ein breites Publikum erreichen wird?
Die letzten Jahre haben gezeigt, dass es so ist. Es ist nun mal fantastische Literatur, die Baldwin schreibt, und ich lege allen seine Romane und Essays sehr ans Herz. Die gesellschaftlichen Verhältnisse auf der ganzen Welt muss man sagen, tragen das ihre dazu bei, dass wir unbedingt Baldwin lesen sollten, weil er immer noch eine ganz wichtige Stimme ist in der Diskussion um Rassismus und für das gesellschaftliche Miteinander.
Was sind denn die Themen, die bis heute topaktuell geblieben sind, und die Baldwin schon mal vor einem guten halben Jahrhundert angesprochen hat?
Es heisst immer so pauschal, Baldwins Thema sei der Rassismus. Das stimmt auch. Was man aber auch sagen muss: Baldwin hat über Menschen geschrieben. Vor allem seine Romane sind keine Pamphlete, sondern es sind Charakterzeichnungen, die nachvollziehen, wie Rassismus in jeder Faser des Körpers, des Zusammenlebens, in Gesprächen, überhaupt in alles hineingreift, und wie Rassismus eine Gesellschaft durch und durch vergiftet. Dies gilt für alle Beteiligten, die unter dem Rassismus zu leiden haben und auch die, die davon profitieren.
Was waren denn die Schwierigkeiten bei der Übersetzung? Und was hat sie besonders erfreut?
Vor allem der Umgang mit Baldwins Musik und mit dem Rhythmus in seiner Sprache bereitete mir die grössten Schwierigkeiten, das war aber auch immer wieder die grösste Herausforderung. Die Musik der Sprache ins Deutsche zu übersetzen, das ja allgemein sperriger und widerständiger ist, und von dem man immer wieder behauptet, dass es so „harsch“ sei und sich eben nicht so sehr für den Blues eigne, diese Sprache zum Singen zu bringen, das war die grösste und auch die schönste Herausforderung.
Herzlichen Dank, Frau Mandelkow, dass Sie sich inmitten der vielen Lesungen und Übersetzungsarbeiten die Zeit genommen haben für dieses Gespräch.
(Dieser Text wurde auch bereits im Online Portal und in der Druckausgabe des Walliser Bote veröffentlicht.)
Text, Bilder und Radiosendung: Kurt Schnidrig