Die „Maifahrt“ oder schweizerisch „Blueschtfahrt“ war früher ein studentischer Bummel in den Wonnemonat Mai. Heute unternehmen Biker mit ihren Töffs eine Maifahrt. Oder tausende Autofahrer treffen sich über Auffahrt vor dem Gotthard-Tunnel zum fröhlichen Stau. Was den früheren und auch heutigen Maifahrern gemeinsam ist: Sie leben im Wonnemonat Mai die Philosophie eines Taugenichts. Ein „Taugenichts“ war im Zeitalter der Romantik (1795-1850) ein sorgenfreier Mensch, der sein Glück auf der Wanderschaft und auf Reisen suchte, begleitet von Abenteuern, Liedern und unvergesslichen Begegnungen. „Aus dem Leben eines Taugenichts“ – so ist eine romantische Novelle von Joseph Freiherr von Eichendorff betitelt, die auch heute noch zum Literatur-Kanon einer jeden guten Ausbildung gehört.
Bestimmt erinnern sich viele an den Anfang dieser Taugenichts-Geschichte in diesem wunderschön romantischen Stil : „Das Rad am meines Vaters Mühle brauste und rauschte schon wieder recht lustig, der Schnee tröpfelte emsig vom Dache, die Sperlinge zwitscherten und tummelten sich dazwischen; ich sass auf der Türschwelle und wischte mir den Schlaf aus den Augen; mir war so recht wohl in dem warmen Sonnenscheine (…)“.
Und der Taugenichts macht sich auf zu einer Fahrt ins Blaue, zu einer Maifahrt oder Blueschtfahrt: „Ich ging also in das Haus hinein und holte meine Geige, die ich recht artig spielte, von der Wand, mein Vater gab mir noch einige Groschen Geld mit auf den Weg, und so schlenderte ich durch das lange Dorf hinaus. (…) Mir war es wie ein ewiger Sonntag im Gemüte. Und als ich endlich ins freie Feld hinauskam, da nahm ich meine liebe Geige hervor und spielte und sang, auf der Landstrasse fortgehend:
„Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt, dem will er seine Wunder weisen in Berg und Wald und Strom und Feld. – Die Trägen, die zu Hause liegen, erquicket nicht das Morgenrot, sie wissen nur vom Kinderwiegen, von Sorgen, Last und Not um Brot.“
Die frühere „Maifahrt“ war ein Tribut an das freie und ungebundene Leben. Auch wenn sie nur ein paar Tage dauerte, stand sie für die Unabhängigkeit des Menschen, der sich den Schönheiten der blühenden Natur öffnet. Viel später, in den 60er-Jahren, haben die Hippies diese Taugenichts-Philosophie übernommen und verinnerlicht.
Raus aus dem Alltagstrott, sich auf das Schöne im Leben besinnen und sich die Zeit nehmen für die Menschen, für die Musik und für die Liebe. Ein klein wenig von dieser Taugenichts-Philosophie wäre uns allen zu wünschen, jetzt, im romantischen Wonnemonat Mai.
Zum Bild: Apfel-Blüten im Mai. Foto: Kurt Schnidrig.