Heute habe ich eine persönliche Einladung zu einer Talkrunde bekommen. Eine Talkrunde mit Andreas Thiel. Andreas Thiel, das ist der Satiriker mit der Irokesen-Frisur. Ja genau, das ist der, welcher den Roger Schawinski in dessen eigener TV- Sendung beinahe demontierte und zu einer polemischen Gesprächsleitung provozierte. Andreas Thiel ist ein Provokateur, ein anarchistisch orientierter Satiriker. In der persönlichen Einladung, die ich von ihm bekommen habe, preist er sich an als ein „Meister des Querdenkens, Querschwimmens und Querliegens“. Doch Querdenker ticken anders. Querdenken geht anders.
Wie ticken Querdenker? Wie geht Querdenken? Es ist doch so: Wir Menschen lieben das Gewohnte, das Alltägliche. Unser Territorium ist die Komfortzone. Das ist gefährlich. Nur allzu oft drehen wir uns im Kreis. Unsere schönen Projekte und Ideen bleiben auf der Strecke. Wir ängstigen uns wegen möglicher schlimmer Szenarien, die eintreten könnten, die aber nie eintreten. Der Alltag legt uns tausend Fesseln an, die uns behindern. Wir verfolgen Ziele, die uns nichts bedeuten. Wir verbringen unsere Zeit mit Menschen, die uns in unserer Entwicklung zurückwerfen. Kurz: Manchmal bringen wir es einfach nicht auf einen grünen Zweig.
Dann hilft nur das Querdenken. Dann muss ich mich fragen: Was tue ich denn da überhaupt? Warum drehe ich mich im Kreis? Warum geht’s nicht vorwärts? Warum trete ich auf der Stelle? Wo ist mein Denkfehler? Nur wenn ich eine Antwort finde auf diese Fragen, kann ich meinen Weg gehen. Nur dann kann ich tun, was mich wirklich weiter bringt. Ich muss eine neue Perspektive gewinnen auf mein Leben, auf meine Ziele, auf meine Projekte.
Das Querdenken habe ich vor zwanzig Jahren geübt. Ich suchte eine neue Perspektive und zog mich während des Winters auf die Insel Kreta zurück. Dort traf ich in einem Buchladen auf die Schriften des kretischen Dichters und Freiheitskämpfers Nikos Kazantzakis. Eines Tages las ich folgende Zeilen von Nikos Kazantzakis: „Ein warmer, feuchter Wind kam aus dem Geschichtenland Arabien, fuhr über das Lybische Meer, liess hinter sich die berühmten Weingärten von Archanes, setzte über die Mauern des Kastells und überfiel durch Türspalten und Fensterritzen die Menschen wie ein nächtlicher Einbrecher…“. So zu schreiben gefiel mir. Ich befreite mich vom engen Tal zu Hause und schaute aufs Meer hinaus (Bild). Kazantzakis begleitete mich in Gedanken. Ich begann „Quere Geschichten“ zu schreiben, die ich später als Buch herausgab. Die „Queren Geschichten“ verkauften sich schweizweit gut, das Buch ist heute vergriffen.
Zurück zu Andreas Thiel, den selbsternannten Querdenker, der wohl vielmehr ein satirischer Provokateur ist. Die Kleinkunst, sein angestammtes Metier, droht ihm zu entgleiten. Er hat auch schon öffentlich darüber nachgedacht, seinen Beruf aufzugeben. Er kommt nicht klar, nicht mit sich selber und nicht mit dem Land, in dem er lebt. 2009 wanderte Thiel nach Island aus, weil er die hohen Steuern in der Schweiz nicht mehr bezahlen wollte. Selbst den staatlichen Subventionen des Kulturbetriebs, die ihn ernähren würden, steht er kritisch gegenüber. 2003 zensierte ihn das Fernsehen wegen seiner Kritik an Israels Premierminister Ariel Sharon.
Andreas Thiel entblösst die Schamlosigkeit der Political Correctness. Er gibt sich politisch inkorrekt. In der persönlichen Einladung zu einer Talkrunde über sein Buch „Intellekt mich“ rezensiert er das Buch gleich selber: Das Buch sei ein Husarenritt kreuz und vor allem quer durch die Glaubenssätze und Tabus unserer Zeit, gespickt mit absurden Dialogen und haarsträubenden Selbstgesprächen, ist da nachzulesen. Das sind Worte eines Anarchisten, eines Chaoten. Das sind aber nicht die Worte eines Querdenkers.
Eine neue Perspektive fürs Business oder fürs Leben wird Andreas Thiel damit nicht gewinnen. Doch auch Provokateure und Anarchisten haben ihr Publikum, das sei immerhin zugestanden. Und sie können etwas bewegen. In diesem Sinne sind seine Bücher durchaus empfehlenswert.
Text und Foto: Kurt Schnidrig
Literatur: Andreas Thiel: Intellekt mich. „Der Kaiser ist trotzdem nackt“. Verlag Werd und Weber, Thun.