Sherlock Holmes lässt bitten. Mit absurden Ausreden versuchten Kriminelle zu allen Zeiten, vor Gericht ihrer Strafe zu entgehen. Davon konnte ich mich anlässlich eines Besuches im Sherlock-Holmes-Museum in London überzeugen (Bild). Dank dem Meisterdetektiv Sherlock Holmes und dessen treuem Begleiter, Dr. Watson, konnten im London des 19. Jahrhunderts viele Lügen, Ausflüchte und Ausreden vor Gericht enttarnt werden. Allerdings ist der Meisterdetektiv Sherlock Homes eine Kunstfigur, die 1886 vom britischen Schriftsteller Arthur Conan Doyle geschaffen worden war. Obschon eine Kunstfigur, gilt Sherlock Holmes aber bis heute weltweit als Symbol des erfolgreichen Privatdetektivs, der dank seinem analytisch-rationalen Denken den Ganoven und Verbrechern auf die Schliche kommt. Die in Doyles Werken beschriebene forensische Arbeitsmethode erlangte eine besondere Bedeutung für die Kriminalliteratur. Sherlock Holmes Arbeitsmethode beruht auf detailgenauer Beobachtung und nüchterner Schlussfolgerung. Der Kanon um den berühmten Meisterdetektiv umfasst 56 Kurzgeschichten und vier Romane. Einige Szenen aus seinen Romanen sind im Sherlock-Holmes-Museum an der Baker-Street dargestellt (Bild unten).
Ich habe nicht geschossen, nur ein bisschen. Der deutsche Richter Patrick Burow hat sich die detailgenaue Arbeitsmethode von Sherlock Holmes bewusst oder unbewusst zu eigen gemacht. Seit über zwanzig Jahren muss er sich vor Gericht unfassbar dreiste, dumme, mitunter aber auch sehr originelle Ausflüchte und Ausreden anhören. Darüber hat er nun ein Buch geschrieben. Der vielsagende Titel dieses Buches lautet: Ich habe nicht geschossen, nur ein bisschen. In seinem Buch hat Richter Burow die haarsträubendsten und witzigsten Ausreden seiner kriminellen Kundschaft gesammelt. So unglaublich die Fälle auch klingen mögen: Alle Fälle sind echt. Ein Beispiel? Da erschien etwa der Mörder André H. vor Gericht. Er wollte geltend machen, seine Freundin habe versucht, ihn mit einem Stromschlag zu töten, als er in der Badewanne lag – indem sie einen laufenden Föhn ins Wasser schmiss. Beim Herausspringen aus der Wanne sei er ausgerutscht und auf die Freundin gefallen. Dann habe er einen Stromschlag erlitten, und seine Hände hätten sich dummerweise um ihre Kehle verkrampft. Bis sie tot gewesen sei. – Natürlich eine abenteuerliche und absurde Ausrede. Aber beweisen Sie mal dem Angeklagten das Gegenteil!?
Ausreden, nichts als Ausreden. Da wehrt sich ein Drogenkonsument mit der Ausrede, er sei leidglich durch Kekse high geworden. Ein Falschparker beruft sich auf ein Schild, auf dem „Abschleppen verboten“ gestanden haben soll. Und ein Urlauber in argen Finanznöten klagt vor Gericht, weil der Strand zu sandig gewesen sei. Nun ist es aber keineswegs so, dass die Täter mit ihren fadenscheinigen Ausreden nicht auch zuweilen Erfolg hätten. Richter Patrick Burow wärmt auch einige bekannte Fälle wieder auf. Bestimmt kennen Sie den deutschen Fussballer Stefan Effenberg noch von früher, als die deutschen Fussballer noch Weltklasse waren. Also dieser Stefan Effenberg soll einmal einen Polizisten als „Arschloch“ bezeichnet haben. Vor Gericht behauptete er, der Polizist habe sich bloss verhört, in Wahrheit habe er, Stefan Effenberg, freundlich „Schön’n Abend noch“ gemurmelt. Zugegeben, das hört sich im Getümmel nun wirklich zum Verwechseln ähnlich an.
Ausreden, Ausflüchte, Notlügen. Es ist schon unglaublich, wie kreativ der menschliche Geist werden kann, wenn es darum geht, mit einer cleveren Ausrede den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Jede und jeder könnte bestimmt auch aus dem eigenen Erleben mit Beispielen dazu aufwarten. Mit Schaudern erinnere ich mich an meine Primarschulzeit. Die Lehrer waren damals noch alle männlich und nicht eben zimperlich, wenn es darum ging, die eigene Autorität zu demonstrieren. Ein Beispiel? Damals war es Brauch, sich vor Schulbeginn in Zweierkolonne vor dem Primarschulhaus Brig aufzustellen. Und zwar die Knaben auf der Ostseite des Schulhauses, wo über der Eingangstüre „Knabenschule“ prangte. Nun muss ich wohl schon damals ein nicht eben pflegeleichtes Bürschchen gewesen sein. Besonders nach der Lektüre der Karl-May-Romane mit dem Protagonisten Winnetou, da war ich selber Winnetou. Ich war Winnetou auf meinem Pferd „Iltschi“, was so viel heisst wie „Schneller Wind“. So stürzte ich mich eines Tages mit Indianergebrüll und mit „Iltschi“ auf meine Kameraden, die in Zweierkolonne, einer gesitteten Truppe der US-Kavallerie gleich, unseren Wigwam (unser Schulzimmer) besetzen wollten. Der völlig entnervte Lehrer holte mich vom hohen Ross herunter und verpasste mir eine Ohrfeige. Dabei traf er aber nicht meine Ohren, sondern die Nase. Ich blutete, was die Nase hergab. Hemd und Haut waren derart mit Blut bekleckert, dass mich der Lehrer nach Hause schickte, wo ich mich ordentlich waschen sollte. Wie aber den Eltern den Vorfall beichten? Eine Ausrede musste her. Mein damaliger Blutsbruder Old Shatterhand (er ist heute ein bekannter Politiker) erklärte meinen Eltern, wie sich alles zugetragen haben könnte: Da sei plötzlich ein Bächlein über den Schulhausplatz geflossen, über welches ich (oder mein imaginäres Pferd „Iltschi“) unglücklich gestolpert sei. Ein Bächlein? Über den Schulhausplatz? Absurd. Zu abenteuerlich. Nicht mit meinen Eltern. Diese kontaktierten unseren Lehrer, der sich zu seinen Haudegen-Künsten bekannte. „Im Wilden Westen fliegt nun mal hin und wieder einer aus dem Saloon, wenn er nicht spurt“, redete sich unserer Lehrer originell heraus. Womit die Angelegenheit in Güte beigelegt wurde. Will heissen, wir rauchten die Friedenspfeife zusammen. Nun ja, haarsträubende und witzige Ausreden sind zuweilen nicht nur zum Lachen, sondern auch zum Lernen da.
Text und Fotos: Kurt Schnidrig